Sand ist das unsichtbare Fundament jeder modernen Stadt: Unsere Städte sind buchstäblich aus Sand gebaut. In einem durchschnittlichen Einfamilienhaus ruhen ungefähr 200 Tonnen Sand. In einem Krankenhaus sind es bereits 3000 Tonnen, in einem Kernkraftwerk ganze zwölf Millionen. Jeder Kilometer Autobahn erfordert 30’000 Tonnen Sand. Dazu kommt, dass viele der Städte mit Einwohnern über 10 Millionen Menschen – wo in Zukunft ein Grossteil der Menschheit leben wird – am Wasser gebaut sind. Das fordert, nicht zuletzt wegen dem steigenden Meersespiegel, immense Mengen Sand für die künstliche Landaufschüttung. Ohne Sand gibt es keine Stadt.
Sehen kann man den Sand aber nicht. Er liegt im Beton, im Zement oder im Glas unserer Fenster, Glühbirnen und Smartphone-Displays. »In every grain of sand there is a history of the earth«, schrieb die Biologin Rachel Carson 1940. Sie gilt als Begründerin der US-amerikanischen Umweltbewegung und war eine der ersten, welche die Bedeutung von Sand für das Ökosystem erkannt haben. Inzwischen ist Sand direkt nach Wasser die meistgenutzte Ressource weltweit,. Man findet ihn in Sonnenbrillen, Flugzeugen oder Plastiksäcken. Das in Sand enthaltene Siliciumdioxid dient unter anderem zur Herstellung von Wein, Zahnpasta oder Haarspray. Ausserdem enthält er wertvolle Industriemetalle wie Thorium, Titan oder Uran. Sand ist das unsichtbare Bindemittel, das unser modernes, urbanes Leben zusammenhält. In unseren Mauern und Fenstern unsichtbar geworden, wird Sand zu einer Gegenmetapher – einem Nichtbild – moderner Städte.
Der Sand, der zum Bau unserer Gebäude, Strassen und Tunnel verwendet wird, ist eine knappe Ressource. Da der Transport teuer ist ,stammt nach Möglichkeit der Sand, den wir verbauen, aus lokalen Minen und Kieswerken. Doch die Nachfrage übersteigt oft das lokale Angebot und so ist der Abbau von Sand an Stränden und Meeresböden zu einem lukrativen Geschäft geworden. Da die meisten Länder Umweltauflagen haben und regeln, wie viel Sand von Meeresböden, Landstreifen oder Stränden abgeschöpft werden darf, boomt das Geschäft mit illegal abgebautem Sand. Auf den Malediven begannen arbeitslose Fischer damit, Sand zu schöpfen. In Indien, Bangladesch oder Marokko entstanden regelrechte Sand-Mafias, die bei Nacht mit Baggern und Transportern anfahren, um das rare Gut zu holen.
Das Ausmass des illegalen Sandabbaus ist schwer abzuschätzen. Othmane Mernissi, Präsident der marokkanischen Vereinigung der Granulathersteller sagte in einem Interview mit der Schweizer Zeitung „Handelsblatt“ 2013: »Bis heute wurden 40 bis 45 Prozent des Sandes gestohlen. Das ist eine riesige Menge und ein echtes ökologisches Fiasko, denn der Sand stammt vor allem von den Stränden«. Aber globale Datenerhebungen fehlen. Es ist weder klar, wie viel Sand illegal abgebaut und wie viel Geld damit erwirtschaftet wird, noch, wo dieser landet und welche Unternehmen darin verstrickt sind. Es mangelt grundsätzlich an Fakten darüber, welche Ausmasse das Geschäft mit dem Sand überhaupt hat. Die Zahlen für den offiziellen jährlichen Abbau schwanken zwischen 15 und 60 Milliarden Tonnen. Das Handelsblatt spricht von einem Handelsvolumen von 70 Milliarden US-Dollar. Gemäss Unep, dem Umweltprogramm der UNO, verbrauchen wir zurzeit doppelt so viel Sand, wie alle Flüsse der Welt jährlich herstellen, rund 60 Milliarden Tonnen. Knapp die Hälfte davon wandert in die Bauindustrie.
Feststellen, wieviel des jährlich hierzulande verbauten Betons aus illegalen Quellen kommt, lässt sich praktisch nicht. Die 16 inländischen Kiesgruben und Steinbrüche des Schweizer Baustoffherstellers Holcim liefern nach eigenen Angaben jährlich gerade einmal sieben Millionen Tonnen Kies, Sand und Schotter. Die Transport- und Distributionskette des globalen Sandgeschäfts ist sehr verflochten und bei der Sandverarbeitung werden Erzeugnisse aus verschiedensten Gebieten zusammengebracht. Aus dem Beton lassen sich die Sandkörner nur schwer nachträglich extrahieren. Und selbst wenn man anhand von Proben zeigen kann, woher die Körner stammen, ist der illegale Abbau damit nicht zwingend nachgewiesen. Letztlich ist das Wissen über das Geschäft mit dem Sand ebenso unsichtbar, wie der Sand als Material in den zahllosen Produkten, die diese Industrie ermöglicht.
Meine Videoarbeit »Repetition doesnt make an expert« thematisiert das Sandgeschäft von diesen Wissenslücken her. Die Idee besteht darin, die nicht zugänglichen und nur schwer abschätzbaren Informationen wie Absatzzahlen, Netzwerke, Transportwege, Geschäftsverbindungen, Handelsvolumen etc. von ihrer Absenz her zu thematisieren. Dafür gehe ich an Orte, wo der Raubsand mutmasslich landet: Baustellen. Und imitiere den Raubakt, indem ich Sand von diesen Baustellen enteigne. Die nächtlichen Raubaktionen werden auf Video dokumentiert: Ein fast schwarzes Bild, ohne Information über Zeit und Ort, das wenig verrät und viel Raum für Imagination lässt.
Philipp Spillmann
Links:
in 90 Ländern. http://www.lafargeholcim.com/where-we-operate
Bangladesch http://www.wired.com/2015/04/adam-ferguson-illegal-sand-mining/
Indien http://www.independent.co.uk/news/world/asia/indias-illegal-sand-mining-trade-has-claimed-hundreds-of-lives-in-recent-years-posing-threat-to-the-environment-10341321.html
Marokko http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/raubbau-an-einem-wichtigen-rohstoff-diese-pluenderer-haben-unsere-straende-zerstoert/8301722-6.html