»Stadt selbst machen« zwischen individueller Aneignung und politischer Verpflichtung. Zur zentralen Kontroverse des Symposiums MYCITY der Urbanen Künste Ruhr

Kunst zum Leben, No 3

Todgesagte leben länger: nachdem der Stadt aufgrund wachsender sozialer Problemlagen jahrelang die nahende Bedeutungslosigkeit prophezeit wurde, erlebt sie plötzlich ein erstaunliches Comeback. Sie gilt heute als innovationsförderndes Labor einer wissens- und kreativitätsbasierten Gesellschaft, da die Menschen hier die notwendigen Räume finden, in denen sie den eigenen Gestaltungswillen in kreative Projekte einbringen können. Für scheinbar jeden existiert eine Nische, um irgendwelche Ideen umzusetzen. Die Stadt wird dadurch zum selbstgestaltbaren Prozess1, der geradezu zum Mitmachen auffordert. Doch was heißt eigentlich »Stadt selbst machen«? Ist damit Selbstverwirklichung verbunden oder überwiegt der Druck kreativ tätig sein zu müssen? Das Symposium MY CITY, das die Urbanen Künste Ruhr im Essener Pact Zollverein veranstalteten, versuchte diese Fragen mit einer Reihe von »Stadtmachenden« zu beantworten.2
»Stadt selbst machen« resultiert aus einer zunehmenden Individualisierung, die sich in den vergangenen Jahren durch die Digitalisierung und die damit verbundene Entstehung sozialer Netzwerke deutlich verstärkt hat. In diesem Prozess wächst das Bedürfnis sich Selbst und die eigene Persönlichkeit zu inszenieren, um sich so ein auffälliges (vielleicht sogar ein unverwechselbares) Image zu verleihen. Für diese nahezu künstlerische Gestaltung der eigenen Identität ist eine dynamische Umwelt notwendig, in der Unmengen symbolisch-ausdrucksstarker Produkte und eine Vielzahl spannender Erlebnisse zu finden sind. Die gewünschte Dichte können vor allem (größere) Städte liefern. Sie verfügen über die kulturellen Infrastrukturen, die als Hintergrundfolie einer kreativen Suche nach immer neuen Stilen und Trends dienen. Interessanterweise ist damit gleichzeitig ein Reflexionsprozess verbunden: das Wissen über die Gestaltbarkeit der eigenen Persönlichkeit eröffnet automatisch auch ein Bewusstsein für die Flexibilität von Stadt. Ihre vormals extrem statischen Strukturen erscheinen plötzlich als beeinflussbarer Prozess. Die Stadt offenbart sich als sozial gemachte Größe, die durch kreative Eingriffe formbar ist. Die kulturelle Vielschichtigkeit urbaner Räume wird dabei spielerisch verarbeitet – selbst bisher ungenutzte Brachen eröffnen auf einmal ungeahnte Potentiale für eine kreative Auseinandersetzung.3
Vielfach sind damit auch Hoffnungen auf zukünftige ökonomische Impulse verbunden. Diese neuen stadtgestalterischen Bewegungen resultieren vereinfacht gesagt aus einer Zunahme an Konsum und gehören längst in den Kanon einer wissens- und kreativitätsbasierten Dienstleistungsökonomie, dessen Unternehmen diese Praktiken bewusst verstärken, um neue vermarktbare Symbolwelten zu erschließen. Es handelt sich um ein Geben und Nehmen: denn die vielen kleinteiligen Firmen der Kreativbranchen sind gleichzeitig die richtigen Arbeitgeber für die »Stadtmachenden«. Daraus ergibt sich eine zunehmende Verstärkung kreativer Praktiken im Umgang mit urbanen Räumen, eine Art permanente Wechselwirkung, die auch als Imperativ des Kreativen bezeichnet wird. Kreativität (als permanente Suche nach neuen Reizen) wird zur Quelle von Wertschöpfung. Die aus diesen Prozessen resultierenden – mitunter äußerst experimentellen – Projekte sind immer auch ein fruchtbarer Nährboden für (soziale) Innovationen, die richtungsweisende Zukunftsmodelle aufzeigen können. 4
Das Ruhrgebiet tut sich mit dieser Entwicklung schwer. Die gesamte Region mit ihren 53 Städten ist in vielerlei Hinsicht ein Resultat der Montanindustrie, die in den vergangenen Jahrzehnten zusammengebrochen ist. Bis heute identifizieren sich die Menschen mit dem Mythos Ruhr, der den klassischen (Berg-)Arbeiter mit all seinen Eigenheiten repräsentiert. Damit verbunden ist ein traditionelles Arbeitsverständnis, also der Glaube an einen großen Arbeitgeber, der genügend Tätigkeiten für alle zur Verfügung stellt. Die Bedürfnisse der neuen Wirtschaftssektoren und die damit verbundenen Lebensweisen verstehen viele Menschen im Ruhrgebiet nicht. Deshalb wurde mit dem Strukturwandel der vergangenen Jahrzehnte immer auch ein kultureller Wandel proklamiert, der langfristig ein neues Bewusstsein schaffen soll – wohlwissend, dass es so arbeitsintensive und wachstumsintensive Produktionsbereiche wie die Montanindustrie sicherlich nie wieder geben wird.5
Vielleicht einer der Gründe, weshalb viele dieser kreativen Akteure nach Zukunftsstrategien jenseits etablierter Wachstumspfade suchen. In vielen Ruhrgebietsquartieren etablieren sich –auch als Ergebnis der oben beschriebenen Kulturalisierungstendenzen – erste Netzwerke oder Gruppen, die sich mit den Möglichkeiten des Urbanen auseinandersetzen und dabei aktiv ihr »Recht auf Stadt« einfordern. Sie folgen nicht (oder nur eingeschränkt) der Logik einer wie auch immer ausgestalteten Kreativwirtschaft, sondern verstehen sich vielmehr als eine aktivistische Bewegung, die sich gegen die einseitige Privatisierung öffentlicher Orte wehrt und dabei den sozialen Schieflagen in den Städten eine Stimme gibt. Durch ihre vielfältigen kulturellen oder künstlerischen Projekte versuchen sie in ihren Quartieren aktiv die Bildung von Gemeinschaften zu fördern und dabei längst vergessene ökonomische Formate (wie den Tausch von Waren, Einrichtung von Reparaturwerkstätten, selbstständiges Produzieren) wieder aufleben zu lassen. Die Bedeutung dieser neuen Bewegungen darf also nicht nur auf einen wirtschaftlichen Nutzen begrenzt werden, da diese durchaus auch Formen eines alternativen Zusammenlebens in Stadtgemeinschaften erproben.6
Für diese Gruppen war das Symposium ein gutes Forum. Denn dort diskutierten zahlreiche kreative Akteure (Aktivisten, Künstler, Wissenschaftler, Architekten u.a.) über die Potentiale und Grenzen der Gestaltung urbaner Räume. Glaubt man dem Wachstumskritiker und Sozialpsychologen Harald Welzer, der das Symposium eröffnete, dann ist es schon lange überfällig, dass die Menschen das Zepter wieder »selbst denkend« in die Hand nehmen und an einer zukunftsfähigen (Stadt-)Gemeinschaft arbeiten. »Selbst denken. Anleitung zum Widerstand« ist der Titel seines vielbeachteten Sachbuches, in dem er vor den dramatischen Folgen des derzeit vorherrschenden globalen Wirtschaftssystems warnt. Demnach führt der stetig steigende Ressourcenverbrauch durch den Aufstieg der Schwellenländer und die damit verbundene Belastung der Umwelt (insbesondere des Weltklimas) schon jetzt zu irreparablen Schäden.7 In seinem Vortrag mahnt Welzer deshalb, dass der einseitige Wachstumsglaube die Welt an den Rand eines Kollapses führt. Die Menschen müssen auf den übermäßigen Konsum verzichten und diesen wieder durch gemeinschaftliche Produktionen (auf der Basis von Selbstproduktion, Tausch und gegenseitiger Unterstützung) ersetzen – also unbedingt ein reduktives System einführen. Nach der Meinung von Welzer scheinen die Städte der ideale Ort zur Etablierung nachhaltiger Strukturen zu sein.
Die noch überschaubaren urbanen Netzwerke (oder Strukturen) erlauben die notwendigen kollaborativen Handlungsweisen in denen disziplinübergreifend nach Strategien des Wandels gesucht werden kann. Ideale Beispiele für zukunftsweisende Projekte sind die essbare Stadt Andernach8, die vielen urbanen Gärten9 oder die Transition-Town-Bewegung10. Es handelt sich hierbei zwar um vielschichtige Initiativen, alle vereint allerdings das Problem, dass sie nur selten den Mainstream erreichen und nur wenig zur Veränderung kollektiver Praktiken beitragen. Grundsätzlich muss man Welzer also den Vorwurf machen, dass er eine sinnvolle Diagnose aufstellt ohne konkrete Handlungsempfehlungen für die Zukunft zu geben. Auf konkrete Nachfragen rettet er sich häufig in blanken Zynismus indem er in vielen Fällen provokativ gar keine Antworten mehr gibt oder die Frage lediglich als besonders gelungen bezeichnet. Für viele der anwesenden »Stadtmacher« auf dem Symposium ist seine Haltung jedenfalls frustrierend, da keine Diskussion über dieses relevante Thema entsteht. Ihm fehlt ein starker Counterpart wie der Architekt Markus Miessen, der auch als Opener vorgesehen war, aber im Vorfeld aus persönlichen Gründen absagte.
Die beiden Kuratoren des Symposiums Immanuel Schipper und Katja Aßmann haben mit der Einladung des Wachsumskritikers Harald Welzer dennoch einen starken Impulsgeber eingeladen. Nach seinen Ausführungen erscheint die schrumpfende Region Ruhrgebiet als ideales Labor einer Postwachstumsgesellschaft.11 Diesen Eindruck bestärken auch die zahlreichen Tischgespräche, die von einigen bekannten Akteuren der »Stadtmacherszene« angeboten werden und den eigentlichen Kern des Symposiums ausmachen. Zwar gehen sie nicht alle dezidiert auf die Situation im Ruhrgebiet ein, was von den Teilnehmern durchaus kritisch kommentiert wird. In ihren Vorträgen zeigt sich noch einmal deutlich, dass das Bewusstwerden der eigenen Wirkmächtigkeit in Bezug auf die Gestaltung städtischer Lebenswirklichkeiten mit einer Reflexion der vorherrschenden Situation verbunden ist. Der kreative Eingriff in soziale Zusammenhänge intendiert eine zukünftige Veränderung und damit sind spezifische Nachhaltigkeitsimpulse verbunden.
Nach dreißig Jahren erfolglosem Strukturwandel verändern sich im Ruhrgebiet die Ziele einer Neugestaltung der Stadt. Vielleicht müssen sogar ganz neue Wege geprobt werden. Dort wo nur wenig Wirtschaftswachstum zu erwarten ist, existiert der ideale Nährboden für die Suche nach richtungsweisenden Alternativen. Für viele gehört dieses Bewusstsein längst zum Alltag, wie es die neuen urbanistischen Gruppierungen des Ruhrgebiets demonstrieren. Auf dem Symposium erhalten sie viele neue Praxisbeispiele, die sie in ihren Denkweisen bestärken: von der Ästhetik der Aneignung über die ProtestCity bis hin zur Fruchtbarkeit des Teilens. Viele lenken das Bewusstsein auf die verborgenen Potentiale des Ruhrgebiets – die vielen Leerstände in den Innenstädten, riesige alte Industriebrachen oder ungenützte Hinterhöfe. In diesem Verständnis birgt auch der Mythos Ruhr mit seinen identitätsstiftenden Elementen bisher ungenutzte Chancen. Schrebergartenkolonie und Urban Gardening liegen gedanklich nicht weit auseinander, das neue Do-it-yourself ist vielleicht nur die Erinnerung an die kleinen Reparaturwerkstätten in den Bergmannskolonien. Diese Ideen sind längst Teil von Zwischennutzungs-, Umnutzungs- oder Eventkonzepten, die sich aufgrund rechtlicher oder finanzieller Hürden nicht umsetzen lassen.
Bei den Tischgesprächen hört man sehr oft, dass die städtischen Verwaltungen manch eine gute Idee durch bürokratische Prozesse verhindern. Viele der anwesenden Besucher äußern sich kritisch über die Zusammenarbeit mit Stadtplanern. Es ergeben sich häufig unlösbare Konflikte, da sich die sehr funktionalistisch denkenden Verwaltungsmitarbeiter nicht mit den eigenwilligen Konzepten künstlerischer oder kultureller Projekte anfreunden können. Allerdings zeigen die Diskussionsrunden über die »Baustelle Stadtplanung« oder »Improvisierter Städtebau« auch, dass sich längst etwas etabliert hat, was im Fachjargon als Planung zweiter Ordnung bezeichnet wird – einen Perspektivenwechsel von der »top down«- zu einer »bottom up«-Sichtweise.12 Immer häufiger realisieren Planungsakteure, dass ihre Masterpläne nicht mehr zielführend sind. In derartigen Situationen versuchen sie die bereits vorhandenen lokalspezifischen Kräfte zu wecken, indem sie in Form eines partizipativen Ansatzes mit ortsansässigen Akteuren zusammenarbeiten. In einer immer komplexeren Welt können die Planer nicht mehr alle Perspektiven kennen und benötigen Unterstützung bei der Analyse spezifischer Problemlagen. Ausgehend von diesem Verständnis stehen die Bewohner als Ortsentwickler in der Pflicht. Dadurch soll die Aneignung von Lebensräumen – also das Recht auf Stadt – in der Zivilgesellschaft verstärkt werden. Leider gilt dies hauptsächlich in den Fällen, in denen andere Ansätze versagen, die Kosten zu hoch scheinen oder keine rentable ökonomische Nutzung zu finden ist.
An dieser Stelle fehlt Markus Miessen, der diesen Aspekt von Stadtentwicklung nicht unbegründet als »Alptraum Partizipation« kritisiert und sich berechtigterweise fragt, wann und unter welchen Umständen eine Teilhabe überhaupt sein muss.13 Erst am Ende der Veranstaltung entlarvt die Kuratorin Elke Krasny den durchaus neoliberalen Hintergrund mancher Aktivierungstendenz. In ihrem Vortrag geht sie auf die politische Dimension von Stadt-Selber-Machen in Zeiten enormer Konsolidierungsmaßnahmen öffentlicher Haushalte (Austerity Urbanism) ein. Sie verweist darauf, dass diese Bewegung in vielerlei Hinsicht nicht mehr als eine Verschiebung der Verantwortung ehemals staatlicher Aufgaben auf die Zivilgesellschaft ist.14 Der Imperativ zur Kreativität beinhaltet demnach Forderungen zur Selbstverantwortung, die sich aus dem Rückzug des Staates ergeben. Dies hat enorme Konsequenzen für die Bewertung von Projekten und ihre jeweiligen Ausgestaltung (auch im Sinne politisierender Effekte). Es dreht sich nämlich erneut um die Frage, wie etwas subversiv und neuartig sein kann, wenn es eigentlich nur etwas anderes ersetzt? Was heute besonders kreativ wirkt, sind oft einfache Wiederholungen mitunter als konservativ eingeschätzter Praktiken. Trotzdem solle man die Potentiale dieser neuen kreativen Bewegungen (auch hinsichtlich ihrer politischen Einflussnahme) nicht unterschätzen. Es hat vereinfacht ausgedrückt immer damit zu tun, wer ein Projekt durchführt und welche Mittel er dafür nutzt.
Um bei den Teilnehmern ein Gefühl für das »Stadt selbst machen« zu wecken, gibt es im Verlauf des Symposiums zwei Workshops, die das Bewusstsein einer Person in Bezug auf die eigene Umwelt möglich machen sollen. Genau wie es klassischerweise bei künstlerischen Interventionen geschieht. Dabei geht es auch um die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. So versucht der Künstler Gernot Wieland die Teilnehmer seiner Veranstaltung »Bode, Decke, Fenster, Wand« an spezifische Sequenzen ihres Lebens zu erinnern, um darüber ein Gefühl über ihre Raumwahrnehmung zu veranschaulichen. Die teilweise psychoanalytische Reise ins eigene Innenleben versucht Emotionen zu wecken, die bei jedem einzelnen mit bestimmten räumlichen Konstellationen in Verbindung stehen. Im gemeinsamen Gespräch zeigt der Künstler anschließend, dass Räume immer auch Ausdruck von (vergangenen) Affekten sind. Die Konstitution von Stadt resultiert also aus den Gefühlen, die sich aus spezifischen Atmosphären ergeben. Jeder hat eine ganz eigene Interpretation von urbanen Kontexten, gewachsen aus emotionalen Zuständen der Vergangenheit.
Raumwahrnehmungen lassen sich also durch neue Erlebnisse (und die damit verbundenen Affekte) beeinflussen. Stadt als Prozess bedeutet gleichzeitig, dass die urbanen Räume ebenfalls eine relationale und damit verhandelbare Kategorie darstellen. Laura Bruns und Sebastian Marbacher veranschaulichen dies in ihrem Workshop »Selektive – Kollektive Spicker«. Die Teilnehmer lernen darin bestimmte Orte kennen, die sie mit Spicker markieren sollen. Dadurch werden diese symbolisch verändert, von ihnen gehen plötzlich andere Bezüge aus, die mit dem Markierenden in Verbindung stehen. Durch die gegenseitige Veranschaulichung und Besprechung ergeben sich dann gemeinsame (also kollektive) Muster, die die Teilnehmer fortan als sinnstiftendes und damit handlungsleitendes Prinzip teilen können. Der Workshop veranschaulicht durch diese einfache Darstellung, wie die gemeinschaftliche Aneignung und Gestaltung öffentlicher Räume funktioniert. Gleichzeitig wird deutlich, was die Stadt als Erfahrungs- und Möglichkeitsraum so spannend macht. Die kulturelle Vielschichtigkeit ist ein dynamisches Spielfeld für die eigene kreative Inbesitznahme. Prinzipiell jeder kann der Stadt – alleine oder gemeinsam mit anderen – den eigenen Stempel aufdrücken, scheinbar ungenutzte Räume durch Eigeninitiative mit Leben füllen und dabei völlig neue Wege beschreiten.15
Problematisch bleibt aber, dass eigentlich jeder Raum bereits eine Nutzung erfährt. Aus der kreativen Aneignung durch eine kreative Person oder Gruppe ergibt sich mancherorts ein Konflikt widerstreitender Interessen. Nicht immer lässt sich der eigene Anspruch in das lokale Setting übertragen, auch wenn es sich um ein vermeintlich positives Anliegen handelt. Gerade politisch gewollte Projekte stehen immer im Verdacht eine unterschwellige (meist ökonomische) Aufwertung betreiben zu wollen, was zu Abwehrhandlungen (insbesondere seitens der ohnehin schon marginalisierten Akteure) führen kann. Trotzdem darf nicht jeder Versuch einer kreativen (oder auch künstlerischen) Auseinandersetzung mit urbanen Kontexten verteufelt werden, da diese durchaus Wegbereiter für soziale Innovationen (hier verstanden als neue Formationen eines gemeinschaftlichen Zusammenlebens) sein können. Kunstprojekte in dafür angeeigneten räumlichen Sphären erschaffen Zukunftsbilder, die von den beteiligten Menschen aufgegriffen und gelebt werden können.

  1. Eine umfassende Auseinandersetzung mit der Relationalität städtischer Strukturen (»Stadt als Prozess«) findet sich im Buch »Soziologie der Städte« von Martina Löw aus dem Jahr 2008.
  2. Für Informationen über die Organisation Urbane Künste Ruhr empfiehlt sich die Internetseite www.urbanekuensteruhr.de. Dort ist auch ein weiterer interessanter Bericht über das Symposium zu finden: http://www.urbanekuensteruhr.de/de/blog/my-city-im-rhythmus-der-klingel-ein-bericht-von-honke-rambow.31 (zuletzt besucht am 27.November 2013).
  3. Interessante Anknüpfungspunkte liefern Bastian Lange, Gottfried Prasenc und Harald Saiko in ihrem Sammelband »Ortsentwürfe« (2013), der sich dezidiert mit den vielschichtigen Gestaltungsmöglichkeiten urbaner (Frei-)Flächen beschäftigt.
  4. Andreas Reckwitz spricht in seinem erfolgreichen Buch »Die Erfindung der Kreativität« (2012) von »kulturalisierten Städten«. Er beschreibt darin ausführlich die Formation einer gesamtgesellschaftlichen Kreativitätsnotwendigkeit (oder auch »Kreativitätsdispositiv«).
  5. Einen Einblick in die aktuelle Situation des Ruhrgebiets ermöglicht das Buch »Viel erreicht – wenig gewonnen« (2012), das von den Bochumer Sozialwissenschaftlern Jörg Bogumil, Rolf Heinze, Franz Lehner und Klaus Peter Strohmeier veröffentlicht wurde. Der »Wandel durch Kultur« war eine wichtige Proklamation des Kulturhauptstadtjahres 2010. Details dazu befinden sich auf der Internetseite der Festivalorganisation: www.ruhr2010.de (zuletzt besucht am 27. November 2013).
  6. Zu nennen ist hier insbesondere das Netzwerk X (für Kunst und Soziales) im Ruhrgebiet: http://netzwerk-x.org  (zuletzt gesehen am 27. November 2013). Von besonderer Bedeutung in diesem Netzwerk sind (stellvertretend für viele andere Gruppen) die Urbanisten aus Dortmund (www.dieurbanisten.de – zuletzt gesehen am 27. November 2013)
  7. Neben dem bereits erwähnten Sachbuch »Selbst denken: Eine Anleitung zum Widerstand«(2013) hat Harald Welzer viele weitere Bücher über eine nachhaltigere Wirtschaftsentwicklung veröffentlicht – u.a. mit Klaus Wiegandt den Sammelband »Perspektiven einer nachhaltigen Entwicklung: Wie sieht die Welt im Jahr 2050 aus?« (2012)
  8. Die Stadt Andernach hat ihre Grünflächen zu Kräuter- und Gemüsegärten umfunktioniert und sich selbst das Label der »essbaren Stadt« gegeben. Weitere Informationen zu dem Projekt sind hier zu finden: http://www.andernach.de/de/leben_in_andernach/essbare_stadt.html (zuletzt gesehen am 26. November 2013).
  9. Die urbanen Gärten befinden sich weltweit auf dem Vormarsch. Überall existieren bereits Projekte, in denen städtische Brachflächen zu Gartenanlagen umfunktioniert werden, wo interessierte Bürger ihre eigenen Pflanzen anbauen können. Als das am häufigsten genannte Projektbeispiel gilt der Prinzessinengarten in Berlin (http://prinzessinnengarten.net/ – zuletzt gesehen am 25. November 2013).
  10. Hierbei handelt es sich um eine weltweite Bewegung lokal verorteter Nachhaltigkeitsinitiativen, die sich der Grenzen des wachstums- und konsumorientierten Wirtschaftssystems bewusst geworden sind und neuartige Formen von Ökonomien ausprobieren.
  11. In seinem Buch »Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg zur Postwachstumsökonomie« (2012)  versucht Nico Paech einen nachhaltigen Wirtschaftsentwurf zu entwickeln, der das Zusammenleben in Gemeinschaften (und damit auch die Gemeinschaftsproduktion) zum sinnstiftenden Prinzip erhebt, wodurch der permanente Warenkonsum als Ausdruck von Identität eingedämmt werden könnte.
  12. Mehr zum Paradigmenwechsel der Planung ist im Handbuch »Stadtplanung in der Wissensgesellschaft« (2011) von Bernd Streich zu finden. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Aufsatz »Sie nennen es Arbeit« von Oliver Frey in der Zeitschrift derivé (Heft 26, 2007), der auf seiner Internetseite zu finden ist: http://isra.tuwien.ac.at/frey/Deutsch/Publikationen/Kreative%20Milieus.pdf (zuletzt gesehen am 27. November 2013). Zusätzlich finden sich auch Bezüge zu diesem Thema in dem bereits angesprochenen Buch »Die Erfindung der Kreativität« (2012) von Andreas Reckwitz.
  13. In seinem Buch »Alptraum Partizipation« (2012) beklagt Markus Miessen vor allem die »unkritische, naive und romantische Verwendung« der Begrifflichkeit. Er sieht Partizipation als »Standardausrede«, wenn es darum (geht), sich (als Politiker) aus der Verantwortung zu ziehen.
  14. Die Kritik von Elke Krasny ist nicht unberechtigt. Es lässt sich eine gesamtgesellschaftliche Verdichtung von Aktivierungsversuchen nachzeichnen (parallel zum Partizipationsanspruch), die im wohlfahrtstaatlichen Bereich durchaus der Kompensation von Konsolidierungsfolgen dienen. Eine Verallgemeinerung dieser Kritik ist jedoch unproduktiv, da sich viele kreative Initiativen jenseits politischer Interventionen etablieren.
  15. Eine versierte Beschreibung künstlerischer Praktiken in urbanen Kontexten liefert Paula Maria Hildebrandt in ihrem Artikel »Urbane Kunst« (2012), der ursprünglich für das »Handbuch Stadtsoziologie« von Frank Eckhardt verfasst wurde, aber auch auf ihrer Internetseite zu finden ist: http://www.paulahildebrandt.de/wordpress/wp-content/uploads/2013/03/33_hildebrandt.pdf (zuletzt gesehen am 27. November 2013). Hildebrandt befasst sich darin auch mit den derzeit angesagten Interventionspraktiken und versucht diese zu verorten.
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Über Henning Mohr

Henning Mohr ist derzeit Doktorand im DFG-Graduiertenkolleg »Innovationsgesellschaft heute« am Institut für Soziologie der TU Berlin. In seiner Dissertation forscht er über die Funktionalisierung künstlerischer Interventionen in der Stadt- und Regionalentwicklung (am Beispiel der Urbanen Künste Ruhr). Vorher arbeitete der studierte Sozialwissenschaftler u.a. als Referent der Verwaltungsdirektion der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.

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