Der PROGR: Ein Kunst-Ort im Strukturwandel

Kunst zum Leben, No 3
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Siegesmoment der Künstlerinitiative zur Erhaltung des PROGR am 17. Mai 2009 (Foto: Martin Waldmeier)

Die Freude war gross. Als sich am 17. Mai 2009 die Berner Stimmbevölkerung mit 66% zugunsten der Erhaltung des PROGR Zentrums für Kulturproduktion ausgesprochen hatte, wurde das Resultat als Sieg für eine lebendige Kulturlandschaft im Zentrum Berns gefeiert. Ein Künstler legte den Weg vom Rathaus zu Fuss zurück, um der versammelten Menge das Wahlergebnis zu verkünden. Dann knallten die Korken.

Seither war der PROGR – dessen Name von der ehemaligen Funktion des Gebäudes als Progymnasium abgeleitet ist – eine Baustelle im doppelten Sinne: physisch und auch im übertragenen Sinn. Die Sandsteinfassade wurde in ihren historischen Konturen wiederhergestellt. In der beliebten Café-Bar, gelegen in der ehemaligen Turnhalle, wurde die improvisierte Infrastruktur durch permanente Einbauten ersetzt. Ein neues Zugangssystem im Haus trennt die hell erleuchteten White Cubes der neuen Galerienzone im Erdgeschoss von den in dunklem Türkisgrün gestrichenen Korridoren im Obergeschoss. Im chaotischen Dachstock wurde ausgemistet.

Aussenansicht des Progymnasiums vom Waisenhausplatz (Foto: Martin Waldmeier)

Aussenansicht des Progymnasiums vom Waisenhausplatz (Foto: Martin Waldmeier)

Doch hinter den wuchtigen Steinwänden ereignete sich auch ein Strukturwandel in der Politik einer Institution: Das Haus ging von der öffentlichen Hand in privaten Stiftungsbesitz über.

Korridor (Foto: Martin Waldmeier)

Korridor (Foto: Martin Waldmeier)

Was geschieht, wenn eine kulturelle Institution von grosser Bedeutung für eine lokale Szene in private Hand übergeht? Wie geht es aus, wenn Künstlerinnen und Künstler selbst im Spannungsfeld zwischen öffentlichen Ansprüchen, Sparpolitik und Eigeninteressen aktiv werden und politisch intervenieren, um sich Raum zu schaffen? Welches kreative Potential wird durch strukturelle Transformationen freigesetzt?
Als das Zentrum 2004 unter der Führung der Abteilung Kulturelles der Stadt Bern und den Kuratorinnen Beate Engel und Katrien Reist gegründet wurde, war es als »Zwischenlösung« von einem Jahr Dauer gedacht. Wir erinnern uns: das stattliche Gebäude am Waisenhausplatz stand nach gescheiterten Plänen einer Erweiterung des Kunstmuseums leer. Pragmatisch – und vielleicht auch wegen der Angst vor einer Besetzung (schliesslich befand man sich unweit der berüchtigten Reitschule) – verkündete der damalige Kultursekretär, Christoph Reichenau, die Gründung des PROGR sei eine Chance und zugleich eine Notwendigkeit, um den Leerstand zu überbrücken. Eine konkrete Erwartung seitens der Kunstszene hätte es keine gegeben. Es war eine Win-Win-Situation für alle: Die rund 70 geräumigen Schulzimmer aus dem vorletzten Jahrhundert an bester Lage zum erschwinglichen Preis kamen gut an. Künstler, Theaterleute, Musiker, Grafiker, Filmemacher, kulturelle Organisationen, Schreibende zogen ein. Schon bald gab es Wartelisten.

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Atelier des Künstlers Zimoun (Foto: Martin Waldmeier)

Die Stadt stellte das Gebäude zur Verfügung und mit den Mieteinnahmen wurde unter der Leitung der Abteilung Kulturelles der Kulturbetrieb finanziert. Die Stadt wurde so zum Ateliervermieter und Kulturveranstalter zugleich. Gleichzeitig versäumte Stadtpräsident Tschäppät keine Gelegenheit, öffentlich zu betonen, dass das Projekt auch ein Ablaufdatum habe.

Er musste es geahnt haben: In kürzester Zeit wurde der PROGR zu einem einzigartigen Ort für Kunst in Bern. Gerne lässt man die Anfangszeit Revue passieren. Eine Zeit voller Aufbruchstimmung sei es gewesen; die Türen zu den Ateliers standen offen und Kollaborationen entstanden spontan und organisch; die Kulturszene in Bern wurde über neue Residency-Programme internationaler und bot mit dem Haus einen nie dagewesenen Durchgangs-, Begegnungs- und Anziehungsraum für Kulturschaffende verschiedenster Herkunft. Unterschiedlichste neue Veranstaltungsformate erschienen und formten niederschwellige, demokratische Schnittstellen zwischen den eingezogenen Kulturschaffenden und der Öffentlichkeit; sie haben sich weiter entwickelt und bestehen teilweise bis heute.

Temporäres Café in einem Atelier (Foto: Martin Waldmeier)

Temporäres Café in einem Atelier (Foto: Martin Waldmeier)

Als aufgrund zahlreicher Planungsverzögerungen in der städtischen Politik die Zwischennutzung Jahr um Jahr verlängert wurde,  machten sich aber auch Probleme im Haus bemerkbar. Die Bereitschaft zur Partizipation und das Interesse der eingemieteten Künstlerschaft am Kulturprogramm im Haus nahmen deutlich ab und beschränkten sich zunehmend auf einen harten Kern. Die ursprünglich relativ flüssigen, bewegliche Rollen und Strukturen wurden professionalisiert und zugleich statischer. Nach Diebstählen blieben die Ateliertüren vermehrt geschlossen und es wurde ruhig im Haus. Einige Mieter warfen dem Leitungsteam einen Mangel an Transparenz vor. Anderswo munkelte man, gewisse Künstler seien nie da und bräuchten ihr Atelier gar nicht.

Als 2008 angekündigt wurde, dass das Progymnasium nun an einen Investor verkauft und zum Gesundheitszentrum umfunktioniert werden sollte, war es beinahe, als hätte man nach Jahren des Business-as-Usual beinahe vergessen, dass es tatsächlich mal so kommen würde. Die monatlichen Mietersitzungen, zu denen tatsächlich meist nur die wenigsten erschienen, waren plötzlich wieder voll besetzt. Was tun? Für viele Künstler und Veranstalter sah eine Zukunft ausserhalb des Hauses schwierig aus. Könnte der Plan der Stadtverwaltung verzögert oder unterlaufen werden? Sollte man den PROGR besetzen? Oder – ganz nach der Logik des Kapitalismus – galt es Geld sammeln und den zahlungskräftigen Investor mit einem eigenen Angebot zu überbieten? Als schliesslich die Kündigungen der Ateliers eingingen, wurde das Leitungsteam des Hauses als Angestellte der Stadt offiziell handlungsunfähig. Dies wurde registriert. Wenn noch etwas getan werden könne, dann müsse dies von ihnen selbst kommen, waren sich die Künstlerinnen und Künstler bewusst.

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Photoshooting der Künstlerinitiative zur Erhaltung des PROGR (Foto: martin Waldmeier)

Viel Zeit blieb nicht, und das Vorhaben war riskant. Der radikale und mutige Vorschlag des Videokünstlers Peter Aerschmann, der Stadt ein unaufgefordertes Kaufangebot zu machen, setzte sich durch. Es sollte ein Kaufangebot ohne die finanzielle Unterstützung der öffentlichen Hand und nur mit Hilfe von Eigenmitteln, Gönnern und Sponsoren sein. Die Handys liefen heiss. Immerhin ging es um Millionen, und dies innerhalb von wenigen Monaten. Ein paar Dutzend Künstlerinnen und Künstler formierten sich im spontan zur PR-Organisation und lancierten eine Kampagne mit Plakaten, Veranstaltungen und öffentlichen Auftritten, und fragten öffentlich: Kultur oder Kommerz? Kunst oder Profit? Bäärn oder Züüüri? Etwas berechenbar waren diese Slogans, und nichtsdestotrotz gingen die Kulturschaffenden mit grosser Seriosität und bewundernswertem Optimismus ans Werk. Eine Mehrheit des Stadtrats liess sich vom Vorschlag und der effizienten Kampagnen- und Lobbyingarbeit überzeugen – genauso wie einige einflussreiche und zahlungskräftige Gönner und noch viele weitere, die anonyme Absichtserklärungen zur Finanzierung des Künstlerhauses eingereicht hatten. Eine öffentliche Variantenabstimmung wurde beschlossen. Kulturschaffende seien Tagediebe und Taugenichtse, hiess es noch aus der rechten Ecke des Stadtrats, doch auch dies konnte den Erfolg des Vorschlags nicht mehr bremsen. Im Gegenteil. Gute Anekdoten fördern die Motivation.

Es war ein Moment, in dem der PROGR plötzlich und stärker als je zuvor als Ort der Gemeinschaft wahrgenommen wurde, den es zu retten galt. Den PROGR als Haus mit Seele. Ein Ort, an dem auch spät nachts (wenn unten in der Turnhalle der Partysound dröhnt und in den Gängen weiter oben widerhallt) noch irgendwo eine Tür einen Spalt weit offensteht und den Blick freigibt auf ein Ölgemälde im Entstehen. Ein Ort, wo immer jemand versunken hinter grossen Apple-Bildschirmen sitzt, während draussen im Gang ein paar junge Leute Tischfussball spielen. Wo man von der Strasse hören kann, wie im Kellerlokal Jazzimprovisation oder in der Aula Tango geprobt und in der Ausstellungszone irgendwo gehämmert wird; wo verpackte Bilder über Jahre im Gang stehen (bis sie plötzlich verschwinden), und wo das kunsthistorische Seminar im Westflügel stets von einem Pianisten im Nebenraum beschallt wird. Ein Ort, wo am Freitagabend in der Artist-in-Residence-Wohnung eine Englisch sprechende Gruppe mit Bier in der Hand auf der Dachterrasse steht und, vom Hof aus praktisch unsichtbar, auf die feiernde Menge hinabblickt. Unzählige solcher Momente gibt es im PROGR. In dem Moment, wo die Existenz dieses Ortes auf dem Spiel stand, erschien sein Wert klarer als je zuvor: nicht nur als ein Arbeitsraum, sondern als wandelbares »ideelles Zuhause« für Künstler aus Bern und von anderswo. Solche Orte sind selten, und sie sind wertvoll.

Der Erfolg der Kulturschaffenden beim Stimmvolk und ihre Übernahme des Hauses veränderte vieles – und auch überraschend wenig. Dem politischen Sieg folgte eine Bewegung der Selbstemanzipation: Dieser Coup war primär das Werk der Künstlergemeinschaft selbst, insbesondere derjenigen, die sie ideell angeführt hatten, aber auch derer, die sie politisch und finanziell unterstützt hatten. Gemeinsam ging man nun dazu über, das Haus neu zu organisieren und zu gestalten. Während vor der Übernahme institutionelle Aufgaben wie Öffentlichkeitsarbeit, Ausstellungsplanung, Vernetzung und Mieterauswahl von dem städtischen Leitungsteam aus Kuratorinnen und Kulturmanagern wahrgenommen worden waren, wurde nun aus Kostengründen auf dieses Team verzichtet. Die von den Künstlern gegründete Stiftung übernahm diese Funktionen selbst. Die im Stiftungsrat vertretenen Kulturschaffenden – die sich in der Kampagne zur Rettung des PROGR besonders engagiert hatten – gingen mit Enthusiasmus, aber wenig Vorbereitungszeit und Erfahrung an die komplexe und zeitraubende Aufgabe heran. Viel angesammeltes Know-How über das Haus ging verloren. Viele Fragen standen im Raum: Kann ein Haus wie der PROGR in minimaler – kostensparender – Selbstverwaltung betrieben werden? Wer hat das Recht, ein Atelier im Haus zu haben und wer darf darüber bestimmen, wer eines bekommt? Wieviel Struktur ist notwendig, um Kulturproduktion zu ermöglichen? Kann ein Verwaltungsbüro auch kuratorisch tätig sein? Können Künstler kollektiv für die Öffentlichkeitsarbeit einer Institution sorgen? Wollen und benötigen sie das überhaupt? Sollen Anwesenheitspflichten für solche Künstler eingeführt werden?

Der Sieg in der Volksabstimmung zur Erhaltung des PROGR wurde im öffentlichen Diskurs als Sieg für die Berner Kulturszene und die Öffentlichkeit gefeiert. Daran gab es keine Zweifel. Gleichsam liesse sich die politische Entscheidung aber genauso gut auch konservativ interpretieren: Für die Berner Öffentlichkeit blieb mit dem Ja zum PROGR schliesslich einfach alles wie gehabt. Die »netten« Künstler konnten bleiben, und die vielleicht beliebteste Bar der Stadt ebenfalls. Konservativ aber auch, was das interne Leben des Hauses betrifft: Die Künstler hatten sich mit dem Sieg ihren Anspruch auf attraktiven Arbeitsraum im Zentrum Berns gesichert. Nicht unbedingt nur aus nobler Überzeugung und für die Kunst an sich, sondern wohl auch für sich selbst. Ein durchaus weiser Schachzug, sich abzusichern vor einer Sparpolitik, der heute auch die Subventionen einer Kunsthalle Bern nicht mehr heilig sind. Aber es war auch ein glücklicher Entscheid für diejenigen, die dabei sind, und nun praktisch unbefristet ein Atelier im Haus ihr »eigen« nennen können. Auf ein fest verankertes Rotationsprinzip, das langfristig einen laufenden Mieterwechsel im Haus garantiert und Platz für Neues geschaffen hätte, hat man verzichtet, ebenso auch auf eine breit angelegte Öffentlichkeitsarbeit. Für andere auf dem Kulturplatz Bern – besonders auch eine jüngere Generation – stellt sich die Frage nach Arbeitsraum also nach wie vor. Und für den PROGR stellt sich im Gegenzug die Frage, wie man das Progymnasium als nun gefestigte kulturelle Institution lebendig halten kann, oder ob man das überhaupt will.

Eines der grundsätzlichen Probleme der Kulturproduktion liegt darin, dass sie selten ganz von selbst floriert. Sie benötigt kulturelle und materielle Ressourcen sowie Kontexte, in denen sie Notwendigkeit und Legitimation erfährt und finanzielle und ideelle Unterstützung erhält. Sie braucht nicht nur einen Produktionsraum, sondern Strukturen, über die sie sich in Bezug zur Öffentlichkeit setzen kann. Zur Zeit der städtischen Zwischennutzung wurde im PROGR beides gleichzeitig versucht. Das Haus wollte ein Produktions-, Begegnungs- und Ausstellungsort der Ateliergemeinschaft zugleich sein. Rückblickend wirft ein solches Modell grundsätzliche Fragen auf: Kann es am Standort Bern langfristig überhaupt funktionieren und eine hohe Qualität und Dynamik halten? Aber auch: welche Funktion haben Produktionsorte für die lokale Öffentlichkeiten in einer Zeit, in der gerade die überregionale, internationale Vernetzung und Mobilität oftmals eine Grundvoraussetzung für Erfolg geworden sind? Die Transformation des Hauses wirft darüber hinaus eine Reihe weiterer Fragen auf: Kann ein solcher Anlass eine Chance für ein demokratischeres, egalitäreres Organisationsmodell innerhalb der oft untransparenten Welt kultureller Institutionen sein? Oder sollte der Betrieb, ganz im Gegenteil, möglichst schnell professionalisiert werden, damit sich die Kulturschaffenden wieder aus den Verwaltungstätigkeiten und Politiken der Institution zurückziehen und sich als Zweckgemeinschaft wieder dem widmen können, was sie eigentlich tun wollen – nämlich Kultur zu machen?

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Ansicht des Ateliers von Alex Güdel (Foto: Martin Waldmeier)

Vier Jahre später scheint es, als wurden diese Fragen indirekt beantwortet – und wenn auch nicht immer über einen offen geführten Diskurs, dann über den real gewählten Weg des Strukturwandels im Haus. Dabei traten ideelle Diskussionen oft in den Hintergrund. Um beispielsweise für den gewollten Wegfall städtischer Subventionen  zu kompensieren, mussten die Mieten nicht nur erhöht, sondern auch neue Einnahmequellen in Form höherer Erträge von anderswo erschlossen wurden. Als Konsequenz wurde die öffentliche Galerienzone eingerichtet, die heute von dritter Hand betriebene Galerien und Institutionen beherbergt, die durch einen höheren Ansatz die Mietzinse der Kulturschaffenden in den Ateliers quersubventionieren. Die Galerie Bernhard Bischoff, das Kunstmuseum Bern, die Künstlervereinigung Visarte, die Stadtgalerie und andere nehmen dieses Angebot in Anspruch. Das Modell funktioniert, doch die Ateliergemeinschaft im Haus gab damit auch ihren Anspruch auf Partizipation ab, den sie ab dem Moment der Übernahme hätte stellen können. Das Kulturprogramm und der Grossteil der Öffentlichkeitsarbeit im Haus liegt nun vollständig in der Hand eigenständiger Drittparteien, die von der Ateliergemeinschaft unabhängig handeln und so auch von der Pflicht befreit sind, die Kulturschaffenden im Haus kollektiv nach Aussen zu repräsentieren oder ihnen ihre Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Und während die Stadt sich im Zuge des Strukturwandels als massgebliche Kraft weitgehend zurückgezogen hat, sind nun neu Gönner auf den Plan getreten, die im Haus ihren Einfluss geltend machen.

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Ohne Titel / Stillleben (Foto: Martin Waldmeier)

So konnten die Künstlerinnen und Künstler im PROGR zwar auf lange Sicht einen der begehrtesten Kunst-Orte Berns retten und zu seiner wünschenswerten Professionalisierung beitragen, doch haben sie paradoxerweise mit ihrem weitgehenden Verzicht auf eigene Öffentlichkeitsarbeit, kuratorische Profilierung und ein dynamisches Rotationsprinzip der Atelierinhaber auch einen gewissen Gesichts- und Bedeutungsverlust als Kunst-Ort im regionalen und internationalen Kontext hingenommen. Zwar gab es auch unter städtischer Leitung kein Rotationsprinzip, doch gerade an der Schwelle zwischen der temporären Organisationsform der Zwischennutzung und der langfristig agierenden Kulturinstitution von heute wäre die Verankerung eines solches Prinzips – beispielsweise in Form jährlicher Atelierausschreibungen – ein Zeichen für die Öffentlichkeit und die Schweizer Kulturszene gewesen, dass mit der Rettung des PROGR nicht nur zugunsten des Status Quo, sondern auch zugunsten einer dynamischen Kunstszene im Zentrum Berns entschieden wurde. Darüber hinaus brachte die turbulente Umbruchsphase zwar das Versprechen von mehr Demokratie und Partizipation im Haus mit sich; vier Jahre später präsentiert sich die Institution jedoch mit beinahe identischen administrativen Strukturen wie damals, und darüber hinaus mit einem überraschend ähnlichen Mangel an institutionspolitischer Transparenz.

Nichtsdestotrotz zeigt die Geschichte des PROGR, dass zwischen einer städtischen Verwaltung und einer lebendigen Szene ein erstaunlich produktives Abhängigkeitsverhältnis herrschen kann. Auf der einen Seite wäre ohne die Initiative der Stadt Bern der PROGR – und damit seine Ateliergemeinschaft mit ihren kreativen Potentialen und ihren Öffentlichkeiten – als Kunst-Ort gar nie entstanden. Auf der anderen Seite haben die Kulturschaffenden mit ihrer Intervention und ihrem wunderbaren Erfolg ein kulturpolitisch einzigartiges Zeichen gesetzt. Sie haben – freilich mit der Unterstützung einflussreicher und zahlungskräftiger Gönner – das  Überleben eines Ortes gesichert, der über die Jahre hinweg eine Funktion erfüllen konnte, die aus der Stadt nicht mehr wegzudenken ist. Wegzudenken weder für die Kulturschaffenden, die im Haus ein und aus gehen, noch für die Institutionen, die darin ihre Räume betreiben, noch für die Berner Bevölkerung, die das breite Angebot an Ausstellungen, Konzerten und Kulturveranstaltungen nicht missen und auch auf das Feierabendbier in der Café-Bar nicht verzichten möchte. Indem die Künstler sich für die Erhaltung »ihres« Hauses eingesetzt haben, haben sie als Nebenprodukt einen Wert für die Allgemeinheit geschaffen, der bestehen bleibt.

Website der Stiftung PROGR: http://www.progr.ch
Zur Geschichte der PROGR-Zwischennutzung siehe: Beate Engel und Martin Waldmeier [Hrsg.], Kultur im Zentrum: PROGR – eine Zwischennutzung mit Langzeitwirkung, Sulgen: Niggli Verlag, 2009.

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Über Martin Waldmeier

Martin Waldmeier war von 2009 bis 2010 Assistenzkurator im PROGR Zentrum für Kulturproduktion unter der Abteilung Kulturelles der Stadt Bern, und von 2010 bis 2011 Kurator und interimistischer Leiter der Stadtgalerie. Er lebt zur Zeit in London und Warschau und ist Doktorand in der Abteilung Visual Cultures am Goldsmiths College der University of London.

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