Seit dem Fall der Mauer ist Berlin rasant zu einem internationalen Kunst-Hotspot aufgestiegen: Dabei hat sich nicht nur die Zahl der Berliner KünstlerInnen stark vermehrt – schätzungsweise 40.000 freischaffende KünstlerInnen leben und arbeiten über die ganze Stadt verteilt – auch die Formen künstlerischer Produktions- und Präsentationsformate haben sich vervielfältigt bzw. ausdifferenziert. Dementsprechend groß ist der Raumbedarf: Allein über 200 zeitgenössische Kunstgalerien arbeiten mit ca. 37.000 m² Ausstellungsfläche.1 Hinzu kommen etwa 150 bis 200 freie Projekträume und Initiativen, selbstverwaltete Proberäume und Spielstätten sowie eine Vielzahl organisierter Produktionszentren, wie beispielsweise die Uferstudios für zeitgenössischen Tanz im Wedding oder die Werkstätten des Berufsverbands Bildender Künstler (bbk). Viele Kunstorte leiden unter dem zunehmenden Aufwertungsdruck innerstädtischer Immobilien, der durch die drastisch steigende Nachfrage ausgelöst wird: Höhere Mieten, Sanierungsmaßnahmen und Umwandlung von Mietflächen in Eigentum stellen für große Teile der Berliner Kunst- und Kulturszenen eine akute Herausforderung dar, die deren Diversität und Sichtbarkeit nachhaltig einschränken und in naher Zukunft sogar zerstören könnte.
Nicht nur viele LangzeitberlinerInnen können Geschichten von Verdrängung erzählen, auch Kulturschaffende sind oft von derartigen Schicksalen betroffen: Mieten für Wohnungen und Arbeitsräume in innenstädtischen Lagen wie Prenzlauer Berg, Mitte oder Kreuzberg haben sich in den vergangenen Jahren teilweise mehr als verdoppelt. Kulturschaffende sind und waren immer schon Teil von Gentrifizierungsprozessen, ob als InitiatorInnen, VerstärkerInnen, GegnerInnen oder Opfer. Die Belebung ehemals verlassener Stadtteile und die Schaffung einer kreativen und symbolisch aufgeladenen Atmosphäre, steigern das Interesse von ProjektentwicklerInnen und ImmobilieninvestorInnen. Sobald in dieser Gemengelage die Renditen maximiert werden sollen, müssen KünstlerInnen oft als Erste die Orte verlassen, die sie einst wesentlich (mit-)gestaltet haben.
In den vergangenen Jahren ist die Raumproblematik – auch bedingt durch das generell starke Bevölkerungswachstum der Stadt2 – derart präsent geworden, dass diese zunehmend auf der (kultur-)politischen Agenda steht. Allein im vergangenen Jahr gab es unzählige Podiums- und Diskussionsveranstaltungen, Ausstellungen und Tagungen rund um das Thema »(Frei)Raum für die Kunst«. Im Folgenden möchten wir durch eine Skizzierung der letzten Jahre der Berliner Kulturpolitik, insbesondere im Hinblick auf die Neuformation verschiedener Berliner KünstlerInnenorganisationen, und dem empirischen Fallbeispiel des Künstlerkollektivs KUNSTrePUBLIK deutlich machen, wie das Thema Raum in Berlins Kulturpolitikdiskursen zunehmend Resonanz findet. Ausblickend zeigen wir aktuelle Initiativen und Strategien auf, mit denen Räume für die Künste in Berlin langfristig gesichert und ausgebaut werden können.
Raumnot als kulturpolitisches Thema
Im November 2012 lud der damalige Kulturstaatssekretär André Schmitz zum sogenannten Kulturgipfel K2 ein. Ausgewählte Kulturschaffende und VertreterInnen von Kulturinstitutionen trafen in einem anderthalb-tägigen Workshop zusammen, um über die kulturpolitische Zukunft Berlins zu diskutieren.3 Einer der Workshops beschäftigte sich mit der zukünftigen »Raumanordnung« der Berliner Kunstszene. Hier forderten die TeilnehmerInnen, dass »in diesen Bereichen (…) zur Verstetigung Standortsicherungspolitik betrieben werden (…)«4 solle, um künstlerische Produktions- und Wohnräume zu sichern. Vergabemodelle wie Konzeptverfahren und der niedrigschwellige Zugang durch Erbpacht wurden zudem als Lösungsansätze der zunehmenden Raumnot identifiziert.5 Im gleichen Jahr gründete sich die spartenübergreifende Koalition der Freien Szene (KFS). In ihrem Zehn-Punkte-Plan fordert die offene Aktionsplattform die Aufstockung bestehender kulturpolitischer Förderinstrumente und die Neuschaffung von Förderstrukturen wie beispielsweise einen Fonds für Forschung und Recherche. Zudem formuliert die KFS als zentrale Forderung eine Neuausrichtung der Berliner Liegenschaftspolitik, beispielsweise in Form der Bespielung landeseigener Immobilien zu Gunsten kultureller Nutzungen.6
Im Februar 2013 erhielten – rückwirkend für das Jahr 2012 – sieben der schätzungsweise 150 bis 200 freien Projekträume in Berlin die sogenannte Auszeichnung künstlerischer Projekträume und -initiativen, die auch als Projektraumpreis bekannt ist. Dabei handelt es sich um das letzte, in den vergangenen Jahren genuin neu geschaffenen Förderinstrumente der Senatskanzlei für Kulturelle Angelegenheiten (SKA), welches diese in Zusammenarbeit mit dem 2009 gegründeten Netzwerk Freier Projekträume und –initiativen erarbeitet hatte. Zudem mobilisierte die KFS im Herbst 2013 eine vielschichtige politische Kampagne7 und erhöhte so die Sichtbarkeit der Freien Szene Berlins und ihrer Forderungen. KFS verlangte im Zuge der Einführung einer City Tax, die seit 2014 auf touristische Übernachtungen in Berlin erhoben wird, dass Teile der Einnahmen zur Infrastrukturfinanzierung freier Kulturprojekte verwendet werden sollten.
Die neueste Formierung unter Berliner KünstlerInnen ist die Gründung der Allianz bedrohter Berliner Atelierhäuser (AbBA), in der sich momentan etwa zehn Atelierhäuser mit ca. 500 KünstlerInnen vereinigt haben. Im vergangenen Jahr wurden vier traditionelle Atelierstandorte mit 150 Künstlern von privaten Eigentümern gekündigt, zahlreiche andere Standorte sind in ihrer Existenz bedroht.8
Personalwechsel = Prioritätenwechsel in der Kulturpolitik?
Ein einschneidender personeller Wechsel des kulturpolitischen Jahres 2014 ereignete sich bereits im April im Amt des Kulturstaatssekretärs: Der ehemalige Musikmanager Tim Renner folgte auf André Schmitz, welcher wegen Steuerhinterziehung zurückgetreten war. Noch vor Renners Amtsantritt hatte die SKA Bezug auf die teils sehr kritischen Reaktionen zum K2– Gipfel genommen und AkteurInnen der Freien Szene, vor allem der Bildenden Kunst, mit der Formulierung eines Konzepts für einen längerfristig angelegten Dialogprozess mit der Senatsverwaltung beauftragt. Haben und Brauchen (H&B) identifizierte in Arbeitsgruppen (AG) drei inhaltliche Sollbruchstellen – AG Arbeit, AG Stadt/ Raum und AG Kunstbegriff. Unter dem Motto »Bitte wenden!« forderten die InitiatorInnen bei der öffentlichen Vorstellung des Konzepts im Oktober 2014 ein Umdenken in der Berliner Stadtentwicklungs- und Kulturpolitik:
Hierfür braucht es Mittel, Orte, Energien, politischen Willen und eine neue Sprachkultur, die die Vielheit der städtischen Akteure anerkennt. Die gemischte, gerechte und vor der kompletten ökonomischen Verwertung geschützte Stadt ist kein bauliches, sondern ein sozial-politisches Projekt.9
Als Antwort auf das Konzept eines längerfristigen Dialogprozesses positionierte Renner, der sich ausdrücklich als »Anwalt der Freien Szene« versteht10, das Thema Raum eindeutig als kulturpolitische Priorität vor Veränderungen im Kunstverständnis oder der strukturellen Frage der Arbeitsbedingungen von KünstlerInnen. Im Nachgang initiierte die SKA im Oktober in Kooperation mit dem Atelierbüro des bbk, dem Netzwerk Freier Projekträume und –initiativen, dem Landesverband freie darstellende Künste (LAFT), dem Tanzbüro Berlin sowie weiteren AkteurInnen von Kulturinstitutionen und der Freien Szene eine Umfrage zu Arbeitsräumen in der Kunst. Mit der Umfrage sollten das Ausmaß und der Umfang der spartenspezifischen Raumbedarfe identifiziert werden. Im Dezember bekräftigte Renner die Notwendigkeit der Sicherung von Raum für Kunst:
Arbeitsräume für Künstler (sic) und Kreative bilden die Grundlage des künstlerischen Schaffens in Berlin. Die Bereitstellung und langfristige Sicherung von Ateliers, Studios und Proberäumen für Berliner Künstlerinnen und Künstler ist deshalb Schwerpunkt unserer Kulturpolitik.11
Zudem wurde der ehemalige Senator für Stadtentwicklung, Michael Müller, kurz vor Jahreswechsel 2014/2015 neuer Regierender Bürgermeister des Landes Berlin. Dass Berlin zugleich auch einen neuen Kultursenator bekam, blieb außerhalb der Fachkreise weitgehend wenig diskutiert.
Vom Mieter zum Erbpächter: KUNSTrePUBLIK und das ZK/U
Mit Hilfe eines empirischen Beispiels lassen sich die besonderen Konsequenzen und Problemlagen der Raumknappheit besser nachvollziehen. Dafür ziehen wir die Erfahrungen der Gruppe KUNSTrePUBLIK heran, die aufgrund wachstumsorientierter ökonomischer Interessen auf dem Immobilienmarkt mehrfach ihr Arbeitsumfeld ändern mussten. Interessant ist dabei, dass die Künstlergruppe gerade diese urbanen Aufwertungsprozesse zu einem zentralen Bestandteil der eigenen künstlerischen Arbeit gemacht hat und macht. Ihre Projekte beschäftigen sich mit der bewussten Aneignung bzw. Öffnung von brachliegenden, oftmals privaten Räumen, in denen sie durch die künstlerische Symbolproduktion eine öffentliche Debatte über »alternative«, gemeinschaftsbildende Nutzungsmöglichkeiten anregen.12
Im Zuge dieses Prozesses verbinden sie in der Regel eine kritische Auseinandersetzung mit den Folgen der oftmals kontroversen Veräußerung und Bebauung urbaner Räume. Sie weisen dabei nicht nur auf die wachsende Verdrängung bestimmter Bevölkerungsgruppen aus ihren angestammten Quartieren hin, sondern nehmen auch den Verlust von Potentialen der individuellen Selbstgestaltung in den Blick. Gerade die (künstlerischen) Spielweisen, die als Keimzellen der positiven Transformation der Hauptstadt gesehen werden können, sind von der in vielerlei Hinsicht ökonomisch-rationalisierten Verdichtung bedroht. Also genau die kreativen Hotspots, die die Interessierten ohne große Zugangsbarrieren zur experimentellen Mitgestaltung einluden. Die KUNSTrePUBLIKaner teilen deshalb die Forderungen für eine neue Raum- und Liegenschaftspolitik, die – wie oben skizziert – nicht mehr alleine dem Verkauf und damit einer Investmentlogik den Vorzug gibt, sondern abwägt, ob und unter welchen Umständen eine kulturelle Nutzung möglich und sinnvoll wäre.13
Denn nur so bleiben auch weiterhin Projekte wie der Skulpturenpark denkbar, den die Gruppe ab November 2006 bis 2010 auf einer Brachfläche am Spittelmarkt in Berlin-Mitte errichtete. Fast 20 Jahre war das ca. fünf Hektar große, durch Bauzäune abgesperrte Gelände rund um eine alte Zigarrenfabrik ungenutzt. Kurzerhand »okkupierte« das Kollektiv das Areal als Fläche für öffentliche Kunstprojekte.14 Eigentlich hatten sie nur eine Etage in dem Fabrikgebäude als Atelier- und Ausstellungsraum angemietet, allerdings entdeckten sie schnell die vielfältigen (symbolischen) Potentiale des sie umgebenden Areals. Die Künstlergruppe begriff den Ort als »undefinierte (urbane) Bühne« inmitten von sechs- bis achtstöckigen Hochhäusern und bespielte ihn über mehrere Jahre mit den unterschiedlichsten künstlerischen Aktionen. Beispielsweise organisierten sie das Projekt Land´s End, in dessen Rahmen ausgebrannte Fahrzeuge entlang des frisch erschlossenen Baulands an der Kommandantenstraße aufgestellt wurden. Aus den ausgestellten PKWs erklangen bekannte Opernmelodien mit veränderten Libretti, die aus unterschiedlichen Sichtweisen die Aufwertung Berlins thematisierten.15 Eine weitere Aktion war das aufwertungskritische Projekt Karussell, in dessen Verlauf mehrere BMW-Modelle wie ein Fahrgeschäft (als Berlin-Mitte-Wagenburg) um ein Feuer kreisten. Während der Fahrt hörten die Besucher das Lied This land is your land von Woody Guthrie. Symbolisch sollte dabei die Ödnis des ökonomischen Determinismus angeklagt werden, der um sich selbst kreist und innerhalb eines Wachstumsimperativs zunehmend Räume privatisiert.16
Der Skulpturenpark erlangte auch außerhalb Berlins eine hohe Bekanntheit; er steht bis heute sinnbildlich für die vielfältigen künstlerischen Angebote und Ausdrucksformen, die in Berlin zu finden sind (oder waren). Gerne hätte KUNSTrePUBLIK das Gelände über weitere Jahre bespielt, die verschiedenen Grundstücke wurden jedoch an einen niederländischen Investor verkauft. So zeichnete sich bereits im Jahr 2008 ab, dass die Gruppe langfristig einen neuen Ort finden musste.17 Im Jahr 2010 zogen sie in ein leerstehendes Gebäude an der Neuen Grünstraße, das nicht weit von der alten Wirkungsstätte entfernt lag und über genügend Platz für künstlerische Aktivitäten verfügte. Richtig einleben konnten sie sich dort aber nicht, da man bereits nach etwas mehr als einem Jahr mit einer umfangreichen Sanierung begann, so dass dem Künstlerkollektiv kurzerhand gekündigt wurde. Einen ähnlichen Effekt erlebte die Gruppe auch in ihrem nächsten Ateliergebäude an der Köpenicker Straße. Auch dort verfolgte der Eigentümer schnell andere Pläne mit dem Gebäude.
Schließlich stand für die Künstler fest, dass sie eine langfristige Perspektive – vorzugsweise unabhängig vom zunehmenden Verwertungsdruck der Stadt – finden mussten, um weiterhin qualitativ hochwertige Kunstproduktionen zu erstellen.18 Immerhin war KUNSTrePUBLIK zu diesem Zeitpunkt international bereits bekannt und benötigte eine stabile räumliche Basis, um ihre vielschichtigen Arbeiten zu planen. Umso intensiver suchte das Kollektiv nach einer alternativen Lösung. Es folgten Gespräche mit Bezirksämtern, PolitikerInnen oder Kulturschaffenden, um eine langfristige Raumnutzung zu finden. Im Zuge dieses Prozesses verwies man sie auf eine offene Ausschreibung für die Umgestaltung eines alten Güterbahnhofes nahe des Westhafens in Moabit.19 Der Bezirk Mitte suchte für die Nachnutzung des alten Bahngebäudes innerhalb eines Interessenbekundungsverfahrens nach tragfähigen Konzepten. Vorgesehen war die Vergabe eines Erbpachtvertrags über einen Zeitraum von 40 Jahren. Obgleich sich die Mitglieder der Gruppe aufgrund der Konkurrenzinstitution wenig Hoffnung auf den Erfolg einer Bewerbung machten, reichten sie ein Konzept ein. Immerhin hatten sie bereits Projektbudgets von nahezu einer halben Million Euro verwaltet und durch den Erfolg des Skulpturenparks mit den dazugehörigen Veröffentlichungen konkrete Outputs von langjährigen Projekte vorzuweisen. Tatsächlich setzten sie sich dank ihres engagierten dreiteiligen Konzepts aus Residenzprogramm, Ausstellungsfläche und Ort für die Nachbarschaft gegen die anderen 70 TeilnehmerInnen der Ausschreibung durch. Hilfreich war sicherlich auch, dass sie sich in der Finanzierungsfrage nicht entmutigen ließen und die Akquise der benötigten 1,4 Mio. Euro für die Sanierung auf sich nahmen. Letztendlich war es die Lotto-Stiftung Berlin, die einen Großteil der Sanierungssumme (ca. 1 Mio. Euro) zur Verfügung stellte und die Umsetzung des Projekts möglich machte. Die restlichen Mittel stammen vom Bezirk und einer externen Finanzierungsmaßahme für Personalkosten.20
Das Zentrum für Kunst und Urbanistik (ZK/U)
Im Sommer 2012 eröffneten die KUNSTrePUBLIKaner schließlich im alten Güterbahnhof am Westhaften das Zentrum für Kunst und Urbanistik (ZK/U), welches an der Schnittstelle von Kunst und Stadtentwicklung agiert. Symbolisch versucht die Gruppe dabei eine Referenz an die vergangene Nutzung möglich zu machen: »Analog dem Warenaustausch der industriell geprägten Dekaden, soll der Güterbahnhof nun zu einem Umschlagplatz zeitgenössischer postindustrieller Werte werden«.21
Die Gruppe möchte mit der Einrichtung den Diskurs über neue Formen des Zusammenlebens in urbanen Kontexten verdichten und durch eine Reihe von (kunstbezogenen) Veranstaltungsformaten die Nachbarschaft in die Entwicklung des Stadtteils einbeziehen. Durch die Erbpacht von 40 Jahren ist es ihnen möglich, auch langfristige Formate zu realisieren, die einen enormen Arbeitsaufwand und somit ein hohes Maß an Engagement von allen Beteiligten erfordern. Die KUNSTrePUBLIKaner betonen die Besonderheit dieses Modells, da es einer nachhaltigen Stadtentwicklung dienlich sei. Auf diese Weise sei das Areal weiterhin im Besitz des Bezirks und dieser könne in 40 Jahren noch einmal neu entscheiden, wie das Gelände nach diesem Zeitraum genutzt werden solle. Ein Verkauf der Liegenschaft brächte zwar schnellen Profit, die langfristige (prozessuale) Einflussnahme auf das jeweilige Grundstück sei dann aber verwehrt. Ausgehend von diesem Verständnis habe die Berliner Politik mit ihrem Ausverkauf von Boden viele Gestaltungsspielräume aufgegeben.22
»Über einen 40 Jahre währenden Pachtvertrag für kulturelle, gemeinnützige Zwecke ist das ZK/U unabhängig und wird sich erlauben, kritisch die Belange von Stadt und Kunst zu hinterfragen«.23
Nach Meinung des Kollektivs erleichtere die Erbpacht die Planungssicherheit längerfristig angelegter Projekte, wie zum Beispiel die nachhaltige Pflege der öffentlichen Parklandschaft rund um das Bahnhofsgebäude, die Bereitstellung von Parzellen für urbane Gärten, aber auch die Veranstaltungsreihe – Angebote, an denen die Menschen aus Moabit und darüber hinaus teilhaben können und sollen. Sicherlich ist die Einbindung der Nachbarschaft nicht immer einfach, da nach wie vor manchmal Zugangsbarrieren zu kulturellen Angeboten und Einrichtungen bestünden, aber die Gruppe sieht sich insgesamt auf einem guten Weg. So gäbe es ein wachsendes Interesse an Formaten wie dem Gütermarkt (einem »alternativen« Flohmarkt), dem Speisekino (eine Kombination aus gemeinsamen Kochen und Filmvorstellung) oder dem monatlichen Openhaus (eine Ausstellungsreihe).24
Das Programm ist transdisziplinär ausgerichtet, da Kulturschaffende und WissenschaftlerInnen aus dem Residenzprogramm aus unterschiedlichsten Disziplinen stammen und sich aktiv in die Planung und Durchführung von Veranstaltungen des ZK/U einbringen. Dies ermöglicht einerseits die Vernetzung unterschiedlichster AkteurInnen und Institutionen, gleichzeitig etabliert sich eine Art Laborsituation, da neue kollaborative Projektformate erprobt werden. Die KUNSTrePUBLIKaner verfolgen dabei das Ziel, »aktiv die Schnittstelle von Stadtforschung und künstlerischen Formaten im öffentlichen Raum zu definieren und sich den Fragen nach einer Zukunft des Urbanen immer wieder neu zu stellen«. In diesem Sinne »versteht sich das ZK/U als Plattform für Experiment und Diskussion«.25
Die Residenzen sichern darüber hinaus die grundsätzliche Finanzierung der Einrichtung. Interessierte Kulturschaffende können sich auf die Plätze für Wohn- und Arbeitsräume bewerben, allerdings müssen sie selbst durch Stipendien oder anderweitige Förderungen für die Kosten aufkommen. Nur so ist es möglich, die notwendige Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, da es keine allgemeine institutionelle Förderung gibt.
Dementsprechend setzen die KUNSTrePUBLIKaner nur unregelmäßig kuratorische Projekte wie größere Ausstellungen oder Konferenzen in Eigenregie um. Dafür wären weitere Projektmittel notwendig, für deren Akquirierung das Kollektiv oft mit anderen internationalen Netzwerken, z.B. im Kontext EU-finanzierter Projekte, zusammenarbeitet. Dieser Austausch fördert zudem die Teilnahme am internationalen Diskurs. Zusätzliche Gelder und Programmangebote kommen aus der Vermietung der Räumlichkeiten an Vereine, Gruppen oder Initiativen. Darüber hinaus öffnet sich das ZK/U immer wieder für den kulturpolitischen Diskurs: So veranstaltete etwa Haben und Brauchen die Vorstellung des vorhin angesprochenen Konzepts für einen längerfristig angelegten Dialogprozess mit der Senatsverwaltung im ZK/U.
Zukunftsfähige Raumpolitik: Erhalt, Innovation & Neubau
Nach der Markierung einiger kulturpolitischer Ereignisse und einem Einblick in KUNSTrePUBLIKs individuelle Geschichte möchten wir abschließend drei Strategien der Raumsicherung für künstlerische Produktions- und Präsentationsorte subsumieren.
- Investitionen in den Erhalt bestehender kultureller Infrastrukturen
Wenn Berlin die vielfältige Landschaft künstlerischer Produktions- und Präsentationsorte langfristig sichern will, müssen weiterhin genügend Flächen zur kulturellen Nutzung zur Verfügung stehen: Ein Instrument zum Erhalt bestehender Orte ist die zusätzliche Anmietung bzw. Förderung von Ateliers und Proberäumen. Hierzu legte der Atelierbeauftragte des bbk, Florian Schmidt, jüngst einen Masterplan Art Studios 2020 vor. In dem Papier wird unter anderem die kurzfristige Erhöhung des Anmietprogramms für Ateliers der Bildenden Kunst um 1 Million Euro jährlich gefordert, wodurch sich das bestehende Angebot geförderter Arbeitsräume um bis zu 400 Ateliers erweitert.26 Zudem etablieren sich Eigentums- und Bewirtschaftungsmodelle von künstlerischen Produktions- und Präsentationsstätten wie beispielsweise Erbpacht (z.B. Ex Rotaprint, Uferstudios, ZK/U) oder genossenschaftliches Eigentum (z.B. Holzmarkt), die mit Mischfinanzierungen öffentlicher und privater Finanzierungen operieren.
- Ausbau »kreativer« Allianzen
Des Weiteren besteht großer Gestaltungsspielraum in der Bildung einfallsreicher Allianzen zwischen AkteurInnen der Immobilien- und Wohnwirtschaft und Kulturschaffenden. Ein nachahmungswürdiger Ansatz zur Schaffung zusätzlicher künstlerischer Produktionsstätten etabliert sich seit 2010 im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf im Osten der Stadt: Karin Scheel, Leiterin der dort ansässigen Galerie M, hat gemeinsam mit städtischen Wohnungsgesellschaften ein exemplarisches Mini-Atelierprogramm geschaffen.27 Zunächst erhielten KünstlerInnen im Stadtteil Marzahn leerstehende Gewerbeflächen in Erdgeschossen als Atelierflächen zum Betriebskostenpreis, nun erstreckt sich das Konzept auch auf Hellersdorf. Insgesamt stehen so knapp 20 Ateliers zur Verfügung. »Momentan basiert das Ganze auf Absprachen mit zwei Wohnungsbaugesellschaften, aber die Idee absolut ausbaufähig«, so Karin Scheel. Für die KünstlerInnen sind innenstadtnah gelegene Bezirke wie Marzahn nicht nur aus finanzieller Hinsicht interessant, sie haben auch einen stimulierenden Einfluss auf das künstlerische Schaffen. Scheel berichtet: »Viele KünstlerInnen finden die soziale Dynamik des Ortes als solche spannend und beziehen sich in ihren Arbeiten darauf. Zudem gibt es hier auch noch echte Freiflächen, die für die KünstlerInnen sehr attraktiv sind«.
- Neubau
Zusätzlich zur Verstärkung von Anmietung und Nutzung bestehender Räumlichkeiten liegen auch Konzepte zum Neubau von künstlerischen Produktionsorten vor. Beispielsweise erstellte das Architekturkollektiv raumlaborberlin in Kooperation mit dem bbk und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt eine Typologie verschiedener baulicher Kategorien, in denen künstlerische Produktion denkbar sei, rangierend von Wohncontainern und Fertiggaragen hin zu Industriebau- und Reithallen, Gewächshäusern, Discountern und einem Parkhaussystem.28 Im Zuge der enormen Neubautätigkeit in Berlin sollten künstlerische Produktions- und Präsentationsflächen von Beginn an mitgeplant werden, beispielsweise in Form von Auflagen in Bebauungsplänen.
Ausblick: Organisation gegen Raumnot
Mit den personellen Wechseln, sowohl im Amt des Kulturstaatssekretärs als auch beim Regierenden Bürgermeister, sind neue Möglichkeitsräume zur kulturpolitischen Prioritätensetzung und Profilierung entstanden. Tim Renner, der neue Kulturstaatssekretär, hat die Freie Szene als neuen Ansprechpartner für die Re-Formulierung kulturpolitischer Projekte identifiziert. Im Zusammenhang mit deren gewachsener Sichtbarkeit und ihrem Hauptakteur, der Koalition der Freien Szene, ist festzuhalten, dass die teils große Schlagkraft spartenübergreifender Zusammenschlüsse wie der KFS auch neue Herausforderungen hervorruft: Der Bedarf und die Anforderungen an Räume bleiben zu einem gewissen Grad spartenspezifisch und unterschiedlich gelagert. Es kann also keine raumpolitische Universal-Lösung geben, die die spartenspezifische Unterschiede vereinheitlicht oder nivelliert, sondern es bedarf einer Auseinandersetzung, die die jeweiligen AkteurInnen aller Sparten in die stadtentwicklungspolitischen Prozess einbezieht.
Zudem ist zu bedenken, dass eine Fokussierung auf raumpolitische Fragen keine Kulturpolitik im engeren Sinne ersetzt, sondern diese vielmehr (nur) ergänzen kann. Daher ist es wichtig, auch die strukturelle Umgestaltung der kulturpolitischen Förderlandschaft nicht aus dem Blick zu verlieren. Mehr Transparenz über Vergabekriterien und Juryberufungen, die Entbürokratisierung von Abrechnungsmechanismen der Projektförderung, die Stärkung der Kooperation zwischen Institutionen und AkteurInnen der Freien Szene sowie eine spartenspezifische Stimulierung selbstverwalteter Strukturen sind nur einige Maßnahmen, die neben der Sicherung von künstlerischen Räumen eine zukunftsfähige und nachhaltige Kulturpolitik ermöglichen können. Die Kombination aus Erhalt und Stärkung bestehender Infrastrukturen sowie die Entwicklung kreativer und flexibler Modelle der Förderung und Raumnutzung ist notwendig, um die Möglichkeitsräume, die die Kunst materiell und diskursiv eröffnet, langfristig als Teil der Berliner Lebensrealität zu sichern.
- Institut für Strategieentwicklung (Hrsg.): Galerienstudie 2013 – Eine Positionsbestimmung. Berlin. 2013. 20. ↩
- 2013 wurden in Berlin 47.800 Zuzüge registriert (Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, 2014). ↩
- Zu Beginn des Jahres hatte die KünstlerInnenorganisation Haben und Brauchen, die sich im Zuge der Kontroverse über die Ausstellung Based in Berlin gegründet hatte, ein Manifest verfasst (Haben und Brauchen, 2012). Aus Gründen des Umfangs dieses Artikels gehen wir hier nicht näher auf die Vorgeschichte der Politisierung der (Bildenden) KünstlerInnen der vergangenen Jahre ein. Um die Betrachtung der Entwicklungen zeitlich einzugrenzen, konzentrieren wir uns hier kursorisch auf kulturpolitische Ergebnisse ab 2012. ↩
- K2: Eine Dialogveranstaltung der Kulturverwaltung des Berliner Senats. Dokumentation. Berlin. 2012. 8. ↩
- ebd. ↩
- Koalition der Freien Szene: Die Zukunft der Freien Szene – Zehn Punkte für eine neue Förderpolitik. 12.11.2012. 4. Das Manifest von Haben und Brauchen setzte sich bereits explizit mit Forderung nach einer neue Liegenschaftspolitik auseinander. ↩
- Vgl. Landau, Friederike: Tagging the City. Berlin’s Independent Scene Rising for A City Tax for the Arts. http://www.edgecondition.net/vol-5-placemaking.html ↩
- Kulturwerk des bbk berlin GmbH: AbBA – Allianz bedrohter Berliner Atelierhäuser stellt sich vor. Berlin. 21.10.2014. http://www.bbk-kulturwerk.de/con/kulturwerk/front_content.php?idart=3483 ↩
- Haben und Brauchen und berufsverband bildender künstler berlin e.V. (bbk) (Hrsg.): Konzept für einen längerfristigen Dialogprozess zwischen freien und institutionellen Akteuren der zeitgenössischen Kunst und dem Senat. Berlin. Juni 2014. 2. ↩
- Uthoff, Jens: Tim Renner, Berlins Mann für Kultur. Der Sound des Amtes. taz. 29. 09. 2014. http://www.taz.de/!146539/ ↩
- Senatskanzlei Kulturelle Angelegenheiten: Ehemalige Polizeiwache Friedenstraße wird Atelierhaus – Erste Ergebnisse der Raumumfrage in der Freien Szene liegen vor. Berlin. 12.12.2014. http://www.berlin.de/sen/kultur/aktuelles/pressemitteilungen/2014/pressemitteilung.243709.php ↩
- Es handelt sich um eine einführende Beschreibung. Ausführliche Informationen zur Gruppe KUNSTrePUBLIK finden sich auf der Internetseite des Kollektivs: http://www.kunstrepublik.de/ (zuletzt aufgerufen am 10. März 2015, um 16.25 Uhr) ↩
- Die Einstellungen und Aussagen des Kollektivs KUNSTrePUBLIK beruhen auf einem Interview mit dem Mitglied Matthias Einhoff. ↩
- Das Areal hatte zu dieser Zeit noch verschiedene Besitzer. Weitere Details zum Skulpturenpark und der Programmatik des Projekts finden sich unter http://skulpturenpark.org/deutsch/history.html (zuletzt gesehen am 10. März, um 9 Uhr). ↩
- http://www.kunstrepublik.de/projekte/lands-end/ (gesehen am 10. März, um 8.30 Uhr) ↩
- edb. ↩
- Informationen stammen aus einem Interview mit dem KUNSTrePUBLIKaner Matthias Einhoff. ↩
- Matthias Einhoff betonte im Interview mehrfach, wie problematisch die ständige Suche nach neuen Ateliers und die damit verbundene Organisation gewesen ist. Aus diesem Grund halte er die Raumsituation in Berlin – gerade aus KünstlerInnensicht – für extrem problematisch. ↩
- http://www.zku-berlin.org/de/der-ort/ (zuletzt gesehen am 11. März 2015, um 11:45 Uhr) ↩
- Informationen zur Finanzierung durch die Lotto Stiftung Berlin, u.a. in einem Dokument auf der Homepage der Stiftung: http://www.stiftung-deutsche-klassenlotterie-berlin.de/download/110930_3%20Stiftungsaussch%C3%BCttung.pdf (gesehen am 8. März 2015, um 13:00 Uhr) ↩
- Das Zitat stammt von der Homepage der Einrichtung, auf der sich auch weitere Informationen zum Konzept befinden: http://www.zku-berlin.org/de/konzept/ (zuletzt gesehen am 12. März 2015, um 9 Uhr) ↩
- Die Erbpacht sei deshalb laut Matthias Einhoff ein Modell, welches sich für die Zusammenarbeit mit KünstlerInnen besonders eignet. Deshalb solle es in der Liegenschaftspolitik häufiger zum Tragen kommen. ↩
- Das Zitat stammt von der Homepage der Einrichtung, auf der sich auch weitere Informationen zum Konzept befinden: http://www.zku-berlin.org/de/konzept/ (zuletzt gesehen am 12. März 2015, um 9 Uhr) ↩
- Details zu den Veranstaltungen sowie die Termine finden sich auf http://www.zku-berlin.org/de/kalender/ (zuletzt aufgerufen am 12. März 2015, um 9.11 Uhr) ↩
- Das Zitat stammt von der Homepage der Einrichtung, auf der sich auch weitere Informationen zum Konzept befinden: http://www.zku-berlin.org/de/konzept/ (zuletzt gesehen am 12. März 2015, um 9.05 Uhr) ↩
- Schmidt, Florian: Zur Zukunft der Berliner Atelierförderung – Vorüberlegungen zu einem Masterplan »ART STUDIOS 2020«. Berlin. 2015. 3. ↩
- http://www.kultur-marzahn-hellersdorf.de/ATELIERPROGRAMM.128.0.html (zuletzt gesehen am 04. März 2015, um 9.05 Uhr) ↩
- raumlaborberlin et al. (Hrsg.): Art City Lab: Neue Räume für die Kunst. Jovis Verlag. 2015. 107 ff. ↩