Zwischen der prekären Existenz von freiberuflichen Kulturproduzenten und dem Beharrungsvermögen öffentlich subventionierter Kultureinrichtungen erstreckt sich ein weites Feld an Organisationsformen von Kultur, das künftig genauer erschlossen werden sollte. Im folgenden werden zwei Beispiele zur Diskussion gestellt, die gegenwärtig den Ernstfall proben und mit einer Kombination aus unternehmerischer Eigeninitiative und kollektiver Risikoabsicherung experimentieren: das C60/Collaboratorium und das CLB Berlin – beide ins Leben gerufen vom Autor dieses Artikels.
1. Das CLB Berlin
Im September 2015 eröffnet in Berlin ein neuer Raum für zeitgenössische Kunst, Kulturwissenschaften und Urbanismus: das CLB Berlin im Aufbau Haus am Moritzplatz. Das CLB versteht sich als ein Collaboratorium – als ein Experimentalraum, in dem die professionelle Selbstorganisation und fächerübergreifende Zusammenarbeit von kreativen Akteuren aus verschiedenen Feldern erprobt wird. Hier arbeiten Hochschulen, selbständige Organisationen, freie Initiativen, Künstler, Kuratoren und Kulturwissenschaftler gemeinsam an aktuellen Fragen des Kulturbetriebs und der Stadtgesellschaft.
Das Programm setzt sich aus den Veranstaltungen der Initiatoren sowie externer Partner zusammen. Dazu zählen beispielsweise Ausstellungen von der HfG Offenbach oder den Actors of Urban Change, Fortbildungsprogramme wie dem Curatorial Studio der Zürcher Hochschule der Künste und der Humboldt-Universität zu Berlin, Netzwerktreffen von Stadt als Campus e.V., und vieles mehr. Das CLB Berlin wird von einem Kuratorium geleitet, das sich eigens zu diesem Zweck zusammengefunden hat. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt erhält es keinerlei Fördermittel, sondern stützt sich auf das private Engagement der Beteiligten. Es kann damit als Cultural Enterprise verstanden werden, das zwar wirtschaftlich denken und handeln muss, sich aber gemeinnützigen Zielen verpflichtet hat.
Im Mittelpunkt dieses Modells steht die Kollaboration – also (1.) die kooperative Zusammenarbeit von Individuen, Projektgruppen und Organisationen an Ideen und Projekten, (2.) die gemeinsame Nutzung von Ressourcen und (3.) die Öffnung von Gestaltungsprozessen für Partizipation. Solch ein kollaboratives Modell hat mehrere Vorteile: Es führt verschiedene Akteure und Initiativen unter einem einzigen Dach zusammen, sodass Aktivitäten gebündelt, das Programm verdichtet und die Ausstrahlung erhöht werden. Es entsteht ein neuer Konzentrationspunkt und beziehungsreicher Netzwerkknoten. Die gemeinsame Nutzung von Ressourcen spart Kosten und vergrössert zugleich die Gestaltungsspielräume. Die hinzugewonnenen Kontakte erweitern das eigene Netzwerk und ermöglichen neue Kooperationen und Geschäftsbeziehungen. Der Wirkungskreis aller Beteiligten wächst.
Im Unterschied zu einer herkömmlichen Kultureinrichtung, deren Profil von oben nach unten diktiert wird, finden hier gleichberechtigte Partner zusammen, aus deren gemeinsamer Arbeit vielfältige Ideen und Projekte hervorgehen. Dabei kann ein gewisses Mass an Kontingenz und Konfliktrisiko natürlich nicht ausgeschlossen werden. Deshalb bedarf es einer besonderen Haltung, die auf den diplomatischen Ausgleich von individuellen und kollektiven Interessen zielt. Die Organisationsstruktur kann nur dann funktionieren, wenn nicht Konkurrenz und individuelle Vorteilsnahme im Vordergrund stehen, sondern Kooperationswille und Stärkung des kollektiven Gesamtvorhabens. Das heisst jedoch keineswegs, dass die eigenen Interessen zurückgestellt werden müssen. Ganz im Gegenteil: die These lautet vielmehr, dass die kollaborative Zusammenarbeit die eigene Position stärkt und die individuell beschränkten Möglichkeiten erweitert.
2. Das C60/Collaboratorium für kulturelle Praxis
Während die Zukunft des CLB Berlin noch ganz vom Zauber des Neubeginns erfüllt ist, blickt das C60/Collaboratorium inzwischen auf die ersten drei Jahre zurück. In dieser kurzen Zeit hat es bereits mehrere Transformationen durchlebt, sodass es sich für eine erste Zwischenreflexion anbietet.
Das C60/Collaboratorium wurde 2012 an der Ruhr-Universität Bochum gegründet. Der Gründung voran ging ein mehrmonatiger Kommunikationsprozess innerhalb der Universität, in dessen Verlauf das Ziel konkretisiert und interessierte Kooperationspartner identifiziert wurden. Die Ausgangsidee war sehr einfach: an einer Hochschule entstehen fortwährend Vortragsreihen, Studienprojekte, Filmvorführungen, Ausstellungen uvm., die auch für eine grössere Öffentlichkeit von Interesse sind. Im Falle der RUB gab es hierfür jedoch keine angemessenen Räumlichkeiten in der Innenstadt, sodass sich selbst zu Gastvorträgen von internationalen Grössen nur sehr wenige Besucher auf den unübersichtlichen Campus am Stadtrand verirrten – sehr zur Enttäuschung der Veranstalter wie auch der Gäste. Angesichts dieser Situation lag es nahe, einen neuen interdisziplinären Raum für Kunst und Wissenschaft zu schaffen, der die Hochschule direkt ins städtische Zentrum trägt und zugleich als exterritorialer dritter Raum für den informellen Austausch und die experimentelle Zusammenarbeit von Kolleginnen und Kollegen verschiedener Fächer dient. Entsprechend positiv war das Feedback – angefangen beim Rektorat bis zu den Instituten der Kunst-, Literatur-, Medien-, Theaterwissenschaft sowie der Architektur und Stadtplanung. Und auch in der Stadt wurde das Vorhaben begeistert aufgenommen, sodass der Kulturdezernent den Kontakt zu einem privaten Immobilieneigentümer herstellte, der dem C60 die Nutzung seiner Räumlichkeiten ermöglichte.

»Campus Viktoria.« vlnr: Elmar W. Weiler (Rektor der RUB), Stephan Muschick (RWE Stiftung), Ottilie Scholz (OB der Stadt Bochum), Xaver Egger (Architekturprofessor der HOBO) bei der Sichtung der Architekturentwürfe.
2011 wurde ein Memorandum zwischen Universität, Stadtverwaltung und Privateigentümer unterschrieben und 2012 Geld vom Kulturministerium NRW und der Stadt Bochum bewilligt. Dank dieser Finanzierung konnten das Corporate Design gestaltet, die Grundausstattung beschafft und ein dichtes Veranstaltungsprogramm mit Ausstellungen, Filmscreenings, Konzerten, Theateraufführungen, Workshops und Vorlesungen realisiert werden. In Kooperation mit den Architekten wurden Vorschläge für eine wissensbasierte und kulturorientierte Stadtentwicklung ausgearbeitet, die später von den politischen Parteien aufgegriffen worden sind. Das alles passierte innerhalb weniger Monate – sodass sich das C60 in einem veritablen Höhenflug befand – stets mit dem Ziel vor Augen, nicht einfach nur ein Projekt durchzuführen, sondern eine dauerhafte Institution aufzubauen.
Lektionen der Metamorphosen
Wie so oft bei schnellen Erfolgen sollten die Schwierigkeiten nicht lange auf sich warten lassen. Aufgrund der enormen Dynamik des Projektverlaufes kam es zu Diskussionen mit dem universitären Verwaltungsapparat: Die extrem schnelle, bewegliche und unkonventionelle Arbeitsweise des C60 funktionierte ganz anders als die formalisierten Abläufe, hierarchischen Strukturen und langen Entscheidungswege einer öffentlichen Universität. 2013 stellte sich deshalb die Frage nach Anpassung oder Ausgründung. Aufgrund des starken Rückhalts in der Politik entschieden sich alle Beteiligten für den Schritt in die Selbständigkeit. Das finanzielle Risiko erschien als kalkulierbar. Und nicht zuletzt liess sich damit auch eine Erfolgsgeschichte im Geiste der Zeit erzählen: die Universität fördert die Gründung eines innovativen Start-Ups und belgeitet es beim Übergang in die Unabhängigkeit.

»Social Media Ringvorlesung«. Hier mit Geert Lovink vom Institute for Network Cultures, Amsterdam 2012.
Die wirtschaftlichen Untiefen dieser neu gewonnenen Freiheit sollte das C60 allerdings schon einige Monate später zu spüren bekommen – und zwar 2014 in Form einer öffentlichen Haushaltssperre: die Stadt Bochum und das Land NRW hatten ein Defizit erwirtschaftet, sodass Fördermittel eingefroren und schliesslich gekürzt werden mussten. Damit stand das C60 trotz aller Erfolge und Förderzusagen vor grossen finanziellen Schwierigkeiten. Eine grundsätzliche Umstrukturierung wurde unumgänglich. 2015 stellt sich die Zukunft des C60 deshalb vollkommen anders dar, als noch 2013. Aus der Krise gingen aber auch viele neue Impulse und positive Entwicklungen hervor. Einige der zentralen Erfahrungen seien hier im Folgenden kurz erläutert:
Die bewegende Kraft der Kommunikation
Bei der Gründung des C60 war es extrem faszinierend zu beobachten, welche Kraft der Sprache und dem Erzählen innewohnt. Stand am Anfang nur eine vage Idee, die lediglich in Worten und einfachen Bildern vermittelt werden konnte, erwuchsen daraus Bündnisse, Kooperationsvereinbarungen, politische Entscheidungen, Geldflüsse, professionelle Gestaltungsprozesse, künstlerische Neuproduktionen, Besucherströme, Presseberichte, Dokumentationen.
Diese welterschaffende Kraft der Sprache ist geradezu magisch: man muss an sie glauben, damit sie wirkt. Aber man darf sich ihr auch nicht blind überlassen. Der Glaube muss sich zu behaupten wissen gegenüber Skepsis und offener Konfrontation. Er ist anfällig für Selbstzweifel und Verzagtheit. Und doch speist er sich unaufhörlich aus einer Quelle der Kreativität, die dem bewussten Willen vorausgeht und diesen zugleich übersteigt. Der Grat zwischen wegweisender Zukunftsvision und realitätsferner Illusion ist dabei mitunter sehr schmal. Nicht zuletzt deshalb empfiehlt es sich, hier eine spielerische Haltung mit der richtigen Dosis an Selbstironie einzuüben.
Small is beautiful
Bei aller Macht der grossen Institutionen hat es enorme Vorteile, in kleinen flexiblen Strukturen zu arbeiten, die schneller agieren, beweglicher und oft auch sehr viel kreativer sind als grosse Organisationen. Sie sind mutiger und radikaler, bringen neue Perspektiven ins Spiel und setzen sich über traditionelle Strukturen hinweg. Sie sind nicht selten die Spezialeinheit und Speerspitze für neue Entwicklungen: das Lab, der Think Tank, die Task Force.
Konflikte zwischen solch kleinen Sondereinheiten und dem alltäglichen Betrieb ergeben sich allerdings fast zwangsläufig. Deshalb gilt es, solche Spannungen auszuhalten und konstruktiv zu nutzen – auch wenn dies innerhalb grosser Verwaltungsapparate wie Universitäten oder Städte nie ganz einfach ist.
Das Verhältnis von kleinen und grossen Organisationen kann man aber auch partnerschaftlich denken: das Ziel besteht dann darin, gemeinsam smarte Lösungen für strukturbedingte Probleme zu entwickeln. Einzelne Aufgaben können ausgelagert und spezifische Leistungen eingekauft werden – von der Ausarbeitung von Ideen über die Formulierung von Anträgen bis zum Projektmanagement und der Finanzverwaltung. Das ist bei künstlerischen und wissenschaftlichen Institutionen nicht viel anders als in der freien Wirtschaft. In diesem Sinne empfehlen sich kleine Organisationen wie das C60 als modellhafte Partner von grossen Organisationen.
Space matters
Bei der Neugründung des C60/Collaboratoriums wurde in Erwägung gezogen, auf eigene Räumlichkeiten zu verzichten, um die Infrastruktur schlank, die Fixkosten niedrig und die Flexibilität hoch zu halten. Stattdessen wurden verschiedene Räume nach Bedarf genutzt: Spielstätten der freien Szene, Ladenlokale, öffentliche Plätze. Wie bei einem Künstlerkollektiv oder einem Festival funktionierte das C60 deshalb letztlich eher als Label.

»YOU ARE HERE«. Tanzperformance von Antje Velsinger, Miki Yui und Janina Arendt, Ko-Produktion mit dem Mousonturm Frankfurt a. Main 2013.
Etliche Vorzüge sind einfach sehr eng mit konkreten Räumen verbunden: die Identifikation mit einem bestimmten Ort; das mit diesem Ort verbundene Image; die regelmässige Zusammenkunft mit Kollegen und Besuchern; die bessere Sichtbarkeit; und vor allem ein klar formulierter Kontinuitätsanspruch, der über einzelne Projekte hinausweist. Bei der Gründung einer Institution können eigene Räume deshalb vieles vereinfachen und die Kommunikation nach innen wie nach aussen erleichtern. Dabei ist nicht zu unterschätzen, dass der Raum durchaus selber spricht und die Wahrnehmung der Öffentlichkeit entscheidend mit beeinflusst. Sei es durch die Lage, die Grösse, die Ausstattung, die Nachbarschaft, die Atmosphäre oder die Gestaltung, Der Raum ist immer eine Kraft, die man berücksichtigen und mit der man arbeiten muss – und die sich keineswegs ignorieren lässt.
Wirtschaftliche Stabilität durch plurale Finanzierungsquellen
Die wichtigste Lektion dieser Geschichte besteht jedoch darin, nicht ausschliesslich auf die Hilfe der öffentlichen Hand zu setzen, weil diese selbst nicht immer handlungsfähig ist. Es mag richtig sein, dass sich für überzeugende Ideen auch Geld finden lässt. Häufiger ist es allerdings der Fall, dass Städte und Kommunen von Haushaltskrisen geplagt werden und als erstes bei den freiwilligen Kulturausgaben sparen.

»USAP«. 12-Kanal-Klanginstallation mit 50 elektroakustischen Kompositionen aus 20 Ländern im Aufbau Haus 2014.
Die Konsequenz daraus kann nur lauten, Finanzierungsmodelle zu entwickeln, deren wirtschaftliche Stabilität auf mehreren Einnahmequellen aufbauen: von der institutionellen Förderung und öffentlichen Projektförderung über private Stiftungen, Sponsoren und Freundeskreise bis zum Verkauf von Dienstleistungen und Produkten. Die Verwaltung einer solchen Mischkalkulation beansprucht allerdings ihrerseits wieder Zeit und Ressourcen, die bei kleineren Kultureinrichtungen oft gar nicht vorhanden sind. Deshalb müsste sich auch dringend etwas auf der Seite der Geldgeber verändern: die Antragsverfahren müssten einfacher, die Verwaltungsprozesse schlanker, die Laufzeiten länger und die Verwendungsnachweise flexibler werden.
Neue Aufgaben für die Kulturpolitik
Wer sich auf den Weg macht, eine eigene Organisation oder Institution zu gründen, sieht sich mit einer Vielzahl an bereits existierenden Strukturmodellen und Rechtsformen konfrontiert. In den meisten Fällen lassen sich diese Modelle aber nicht einfach so auf den eigenen Spezialfall übertragen, denn viele dieser Neugründungen werden ja gerade aus Unzufriedenheit mit dem Gegebenen und mit dem Wunsch nach Neuem unternommen. In der Regel entsteht deshalb recht schnell eine Reibung zwischen dem, was man eigentlich möchte, und dem, was Gesetzgeber oder Geldgeber als Möglichkeiten einräumen. Letztlich können wirklich neue Organisationsformen im Kulturbereich aber nur dann entstehen und sich längerfristig etablieren, wenn sich alle beteiligten Seiten bewegen: die Kulturschaffenden müssten mehr mit stärker unternehmerisch geprägten Formen der Selbst-Institutionalisierung experimentieren, die Kulturförderer müssten eine risikofreudigere, entbürokratisierte und vor allem auf längerfristige Stabilisierung hin ausgerichtete Förderpolitik betreiben – und auch das Publikum müsste diese neuen Arbeitsformen, die sich zwischen dem öffentlichen Subventionsbetrieb auf der einen Seite und dem prekären Freiberuflerdasein auf der anderen Seite als selbständige Kulturunternehmer zu behaupten versuchen, bewusster wahrnehmen und wertschätzen. Einen solchen Veränderungsprozess zu moderieren und praktisch in die Tat umzusetzen, ist letztlich eine kulturpolitische Aufgabe, die transsektoral und ressortübergreifend angegangen werden müsste.
3. Die Zukunft des C60/Collaboratoriums im CLB Berlin
Im Herbst 2015 zieht das C60/Collaboratorium in die neuen Räume des CLB Berlin im Aufbau Haus mit ein.
Das CLB fungiert dabei als gemeinsames Dach, unter dem sich mehrere Initiativen versammeln: Sally Below mit sbca, Martin Liebscher mit dem Satelliten der HfG Offenbach, Dorothee Richter von der ZHdK, Doris Rothauer mit ihrem Büro für Transfer, Christian Jacobs mit Eanerst & Algernon, Holger Schulze mit dem Sound Studies Lab. Darüber hinaus sind weitere Interessenten, Partner und Förderer herzlich willkommen! In der Konsequenz wird das CLB von den Erfahrungen des C60 profitieren – sich aber auch sehr von ihm unterscheiden. Idealerweise werden beide Formate ihre jeweiligen Stärken ausdifferenzieren: hier der feste Ort, dort das flexible Label; hier der Raum für ein dichtes Programm, dort die Agentur für einzelne Projekte. Idealerweise werden sich beide gegenseitig ergänzen und bereichern – und sicher auch in Frage stellen. Und vielleicht wird sich in dieser Konstellation weiter verfestigen, was sich bereits heute abzeichnet: dass es gar nicht das eine richtige Modell für die Neuorganisation von Kulturunternehmen geben kann, sondern es vielmehr um das optimale Zusammenspiel verschiedener Organisationsmodelle gehen sollte, die auf verschiedene Aufgaben spezialisiert sind. Damit müsste man streng genommen über neuartige kollaborative Konzerne für den Kulturbereich sprechen. Das bietet sicher reichlich Stoff für strittige Kontroversen…