Sprach man in Frankreich noch wenige Jahre zuvor von einem Niedergang der Denkmalkultur, was zugleich als Symptom eines auch gesellschaftspolitischen Werteverlusts gedeutet wurde,1 sollte sich dies ab Beginn der 1980er Jahre ändern: So wurde unter Staatspräsident François Mitterrand die sogenannte »Wiederbelebung des staatlichen Kunstauftrags« ausgerufen, die in den folgenden Jahren massgeblich zur Erneuerung der französischen Denkmallandschaft beitragen sollte. International bewundert, war diese Politik auf nationaler Ebene aber nicht unumstritten, wie die öffentlichen Auseinandersetzungen um eine der paradigmatischsten staatlichen Auftragsarbeiten dieser Jahre – »Les Deux plateaux« von Daniel Buren, die 1985/86 im Ehrenhof des Pariser Palais-Royal entstand – zeigen.

Einblick durch die von Daniel Buren gestalteten Bauzäune anlässlich der Restaurierung von Les deux plateaux (Photo-Souvenir: En voir de toutes les couleurs), Paris, September 2008 (Photo: Valérie Bussmann)
Die vor mehr als 25 Jahren ausgetragenen Debatten sind auch noch heute von grösster Aktualität. Denn, während Kunst im öffentlichen Raum immer wieder in Frage gestellt wird und sich auch die öffentliche Hand zunehmend ihrer Verantwortung der Kunstprotektion entzieht, hat dieser Bereich andererseits dank vielfacher Diskussionen, Ausstellungsprojekte, nicht zuletzt dank steigender Auftragsprogramme einen erheblichen Aufschwung erfahren.
»Wird es uns gelingen, unser kulturelles Projekt in den Raum einzuschreiben und in die Materie einzumeisseln?«2 – Mit dieser Frage hatte der sozialistische Präsidentschaftskandidat Mitterrand kurz vor den Wahlen bereits eins der Ziele seines Regierungsprogramms angekündigt. Und tatsächlich avancierte das Thema Kultur nach dessen Wahlsieg im Mai 1981 zu einer »staatspolitischen Priorität«.3 Unter Leitung des Kulturministers Jack Lang wurden in den folgenden Jahren umfassende Erweiterungen und Umstrukturierungen im Bereich der Kunst- und Kulturförderung durchgeführt. In Abgrenzung von den Vorgängerregierungen, galt es, die »Versöhnung von Kunst und Staat«4 zu besiegeln. Zugleich sollten Kunst- und Kulturschaffende zur aktiven Teilnahme an der »globalen« Erneuerung des kulturellen wie gesellschaftlichen Lebens angeregt werden. In diesem Sinne ist der zitierte Ausspruch symptomatisch für die enge Verknüpfung von Kunst, Politik und Gesellschaft bzw. für das erweiterte, sehr abstrakte Kulturverständnis, mit dem die französischen Sozialisten alle Bereiche des gesellschaftlichen und politischen Lebens zu einem »Tout culturel«5 bzw. zum Bestandteil eines allumfassenden, nicht näher definierten Begriffs von Kultur erklärten. Mit seiner Frage deutete Mitterrand gleichzeitig schon an, dass es ihm auch um eine dauerhafte Markierung des öffentlichen Raumes ging, d.h. er sah Kunst, ebenso wie Architektur, in einer eminent monumentalisierenden Dimension.
Neben der Verdopplung des Kulturetats, der Schaffung neuer Abteilungen und Förderungsprogramme leitete 1983 die Einrichtung eines gut dotierten Fonds6 auch die »Wiederbelebung des öffentlichen Kunstauftrags« ein. Wenig später wurde ein umfangreiches Auftragsprogramm lanciert, zunächst vor allem für die Hauptstadt und Umgebung, ab Mitte der 80er Jahre auch verstärkt in den Regionen.7 Entsprechend den propagierten Kriterien von Pluralismus und Vielfalt war sein Anwendungsbereich sehr weit gefasst: er betraf theoretisch alle Techniken, Gattungen, Ausdruckmittel und Stile der bildenden und angewandten Künste – und jegliche Art von öffentlichen Räumen, insbesondere im städtischen Aussenraum.
Als Ausdruck eines neuen »Zeitalters des Gedenkens«,8 waren die ersten Aufträge zunächst einem sehr traditionellen Konzept öffentlicher Skulptur, dem Personendenkmal verpflichtet. Grundsätzlich sollte die neue Auftragspolitik aber der Verbesserung des Lebensraumes ebenso wie der Unterstützung von Künstlern dienen. Es galt die bestehenden Grenzen der Kunst auszuweiten sowie die soziokulturellen Schranken der Rezeption zu öffnen. Damit bot das staatliche Auftragsprogramm den sozialistischen Politikern ein effizientes Mittel zur Umsetzung der Prinzipien kultureller Demokratie. Vor allem aber sollte der Staatsauftrag zur »Entwicklung eines zeitgenössischen Kunsterbes«9 beitragen. Die Verknüpfung der scheinbar inkompatiblen Begriffe von »Patrimoine« (Kunsterbe) und »Création« (Kunstschaffen) veranschaulicht die zweifache Zielsetzung der staatlichen Auftragspolitik. So ist auch der (allerdings zu relativierende) Begriff der »Wiederbelebung« Programm: er bezeichnet das Streben nach historischer Kontinuität durch die Wiederaufnahme einer jahrhundertlangen, mit dem Ende der III. Republik aber vermeintlich obsolet gewordenen Tradition einerseits; andererseits den Bruch mit der direkten Vergangenheit und die Förderung eines durch das zeitgenössische Kunstschaffen erneuerten Kulturbegriffs. Durch die Integration von Kunst und Leben galt es also nun, dieses radikal zu verändern.
Demgemäss war die erneuerte Auftragspolitik des Staates Bestandteil eines umfassenderen, auch gesellschaftlichen und politischen Gestaltungswillens. Die Tatsache, dass sie in den ersten Jahren mit besonderem Nachdruck vom Staatspräsidenten persönlich gefordert und gefördert wurde und dass die Aufträge anfangs vorrangig die französische Hauptstadt betrafen, scheint von diesen Ambitionen und auch von ihrer staatstragenden Bedeutung zu zeugen. In dieser Perspektive entsprachen die in Paris entstandenen Kunstaufträge dieser Jahre also den im öffentlichen Raum materialisierten Bemühungen der sozialistischen Regierung ihr kulturelles Projekt dauerhaft in Raum und Zeit einzuschreiben.
Anfänglich noch einem sehr klassischen Verständnis und einer konventionellen Form öffentlicher Auftragskunst verpflichtet, trug die staatliche Kunstpolitik im Laufe der 80er Jahre aber auch durchaus zur Entwicklung der französischen Kunst- und Denkmallandschaft bei. – Und dies nicht nur quantitativ, sondern gewissermassen auch qualitativ. – So wurden auf nationaler wie regionaler Ebene auch zunehmend Künstler gefördert, die den herkömmlichen Denkmalbegriff, dessen inhaltliche und formale Monumentalität durch andere, auch anti-monumentale Gestaltungsmittel zu erneuern und einen neuen Kunstbegriff in den öffentlichen Raum einzuführen suchten. Voraussetzung dafür war die Einbindung der Werke in äussere (städtebauliche, landschaftliche, gesellschaftliche oder andere) Funktionszusammenhänge. Auf diese Weise entstanden zu Beginn der 90er Jahre in Paris, aber vor allem in den Regionen »neue Formen von Monumenten«,10 die ganz wesentlich zur Erschliessung und Gestaltung öffentlicher Räume beitrugen.
Daniel Burens Monumentalskulptur »Les deux plateaux« im Ehrenhof des Palais-Royal ist ein frühes Beispiel für diesen neuen Typus öffentlicher Auftragskunst. Das Werk entstand im Rahmen einer Auftragsreihe von zeitgenössischen Skulpturen für den Hof und den Garten der historischen Anlage, die auf Kardinal Richelieus Stadtpalast aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zurückgeht. Damit hatte der Kulturminister 1984 in Paris zugleich sein Programm zur Integration von Gegenwartskunst in Baudenkmäler eröffnet. Ziel war es, der Tristesse des ehemals prächtigen, aber nach dem Krieg vernachlässigten Ensembles, vor allem des als Parkplatz für die Angestellten der umliegenden Behörden verkommenen Ehrenhofs entgegenzuwirken und diesen durch künstlerische Interventionen neu zu beleben.

Ansicht über das Peristyl der Galerie d’Orléans mit den Sculpture-fontaines von Pol Bury, Paris, Palais-Royal (Photo: Valérie Bussmann)
Es wurde eine Reihe von Projekten in Auftrag gegeben (u.a. an Anne & Patrick Poirier für eine Brunnenanlage im Garten und an Gérard Garoust für eine Figurengruppe), von denen man allerdings zunächst nur Pol Burys kinetische Brunnenskulpturen im Peristyl der Gallerie d‘Orléans installierte.11

Pol Bury, Sculpture-fontaine, 1985, Paris, Palais-Royal, Galerie d’Orléans (Photo: Valérie Bussmann)
Der Entwurf Burens wurde nach einem beschränkten Wettbewerb im Juli 1985 persönlich durch Mitterrand ausgewählt. Sahen die anderen Beiträge entweder rein ornamentale Gestaltungen oder die Aufstellung einer Skulptur in der Mitte des Platzes vor, hatte er als einziger eine die gesamte Fläche einnehmende, abstrakte Installation vorgeschlagen. Sein Anliegen war es, die herkömmlichen Vorstellungen eines öffentlichen Kunstwerkes in seinem Kontext zu hinterfragen bzw. die Monumentalität von Kunst- und Baudenkmal wortwörtlich zu untergraben, indem er den Untergrund des Geländes in klarem Bezug zu den architektonischen und topographischen Gegebenheiten sichtbar machen wollte.
Gegen das Veto der staatlichen Denkmalschutzkommission, die sich generell gegen zeitgenössische Eingriffe in die »harmonische Ordnung«12 der historischen Anlage ausgesprochen hatte, wurde nur wenige Woche nach der präsidialen Entscheidung ohne Baugenehmigung mit der Realisierung der Arbeit begonnen. Dieser eigenmächtige Beschluss des Kulturministers löste unverzüglich heftige Kontroversen aus. Wahlkampf- und parteipolitisch vereinnahmt, eskalierten sie im Frühjahr 1986 kurz vor den Parlamentswahlen, aus denen die Sozialisten als Verlierer hervorgingen. Die über Wochen in der breiten Öffentlichkeit ausgetragenen und in der Tagespresse kolportierten Polemiken hatten zu einem kurzeitigen Baustopp geführt. – Erst nach einer Klage des Künstlers gegen den Staat auf Einhaltung des Auftrags und für sein Recht auf geistiges Eigentum wurden die Arbeiten unter dem neuen Kulturminister François Léotard wieder aufgenommen und erst Monate später vollendet. – Diese als »Affaire Buren« bekannten Debatten waren eine der heftigsten Auseinandersetzungen um die sozialistische Kunstpolitik. Sie sollten in der Folge nicht nur die kulturpolitischen Entwicklungen, sondern auch Verständnis und Wahrnehmung von Gegenwartskunst im öffentlichen Raum nachhaltig prägen.
Doch nun erstmal zum eigentlichen Werk:
Mittels seines »visuellen Werkzeugs« – stereotypes Grundmerkmal seiner Kunst aus immer gleichen, seriell aneinander geordneten, 8,7cm breiten, vertikalen, abwechselnd weissen und farbigen Streifen – hinterfragte Buren seit bereits zwei Jahrzehnten das kodifizierte Wertesystem des Kunstbetriebs. Seine Auseinandersetzungen mit der Gattung des Denkmals brachten Buren in Paris dazu, die bestehende Tradition und die herkömmliche Wahrnehmung von Kunst im städtischen Kontext radikal zu revidieren. Der Auftrag für den Palais-Royal bot ihm erstmalig eine Gelegenheit, sein im Jahrzehnt zuvor entwickeltes und auf temporäre Interventionen angewendetes Prinzip der Arbeit »in situ«13 in monumentaler Form dauerhaft zu verorten.
Buren selbst beschrieb sein Werk als eine »nicht zentralisierte, leicht erhöhte« Skulptur, »die alle Merkmale des Monumentalen aufweist, obwohl sie gleichzeitig Kritik am Monumentalen übt.«14 – Entsprechend seines Vorsatzes, das Werk unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Untergrundes »in die architektonische Komposition des Palais-Royal, die im Wesentlichen linear, repetitiv und gerastert ist, einzugliedern,«15 nahm er unterschiedliche Strukturprinzipien und -elemente des klassischen architektonischen Kontextes auf, um diese dann wiederum zu vervielfältigen, zu variieren oder teils zu verfremden. So reagiert die Arbeit auf die spezifischen Gestaltungsmuster ihrer Umgebung und entwickelt diese anhand eines komplexen, abstrakt durchkalkulierten Schemas fort:
Grundlage ist die schachbrettartige Rasterung des schwarz asphaltierten Platzes aus 260 Quadraten, in dessen Mitte sich je eine Säule erhebt. Deren Höhe variiert je nach Lage auf der Fläche. Das Raster wird auf drei Seiten des Hofes durch Gräben durchbrochen, die dem Gefälle des Geländes folgen. Die gesamte Komposition orientiert sich an Struktur und Proportionen der Kolonnaden der Galérie d’Orléans im Norden.16

Daniel Buren, Photo-souvenir: Les deux plateaux, bleibende Arbeit in situ, 1985-86, Paris, Ehrenhof des Palais-Royal (© D.Buren/VG Bild-Kunst, Bonn 2013 ) Modell, August 1985, Gesamtansicht (Orléans, Fonds régional d’art contemporain Centre, Quelle: Daniel Buren, Histoire du Palais-Royal. Les deux plateaux, Arles 2010, S. 18)

Nachtansicht, 1986 (Quelle: Daniel Buren. Mot à mot, Ausst.-Kat. Paris Centre G. Pompidou 2002, hrgs. vom MNAM/CCI, Paris 2002, L02)
Im Gegensatz zu den anderen Arkaden sind diese vollständig regelmässig angeordnet, sodass die gesamte Komposition im Verhältnis zum Ost- und West-Flügel hingegen unregelmässig ausfällt.17 Die »harmonische Ordnung« des Ehrenhofes wird aber vor allem durch die Wiederaufnahme des markantesten Gliederungselements des Hofes, der Säule, durch ihre vielfache Multiplikation sowie ihre scheinbar willkürliche Positionierung und die vermeintlich beliebig variierende Höhe destabilisiert. Die Höhenvariation der unterschiedlichen Säulen folgt allerdings einem klaren System, das zugleich Aufschluss über das grundlegende Kompositionsprinzip gibt: die zwei virtuellen, über die Grundebene des Platzes gelegten und gegenläufigen Ebenen. Die erste, sich horizontal im Raum entwickelnde Ebene wird aus den niedrigeren – den ebenerdigen und den, aufgrund der Wölbung und Unebenheit des Bodens unterschiedlich hohen – Säulen gebildet. Der dritte, gleich hohe, entlang des Gefälles in den Gräben aber kontinuierlich absinkende Säulentypus bildet hingegen die zweite diagonale und aus der süd-östlichen Ecke schräg in den Raum gekippte Ebene. Das schwarz-weisse Streifenmotiv der Säulen, eine Replik auf die gestreiften Markisen der umliegenden Fenster, verweist auf ihre Funktion: Während sie Bezugspunkte schaffen und den Hof skandieren, fungieren sie zugleich als »visuelles Werkzeug«. Mit Verweis auf ihre klassische Funktion dienen sie, dem Künstler zufolge, nicht dazu ein Gebälk oder eine Statue, sondern »den Blick zu tragen«.18 So agieren die Säulen als Vektoren in einem räumlichen Koordinatensystem, die Vertikalen materialisieren sowie Horizontalen und Diagonalen im Raum visualisieren. Ohne die Fläche des Hofes vollkommen zu verstellen und die Ansicht auf die umliegende Architektur zu behindern, bilden sie also eine monumentale, virtuell im Raum gekippte dreidimensionale Skulptur, die sich teils im Untergrund entwickelt. Die Monumentalität der Skulptur wird dabei wiederum durch ihre Virtualität demontiert.
Buren hat also mit »Les deux plateaux« eine für einen spezifischen Ort konzipierte Arbeit geschaffen, die mit diesem eine ebenso affirmative wie subversive Symbiose eingeht. Es galt die Eigenheiten der Anlage mit ihren nicht sofort sichtbaren Implikationen hervorzuheben und zu enthüllen, aber diese gleichzeitig auch zu verändern und zu konterkarieren. Mit den beiden Ebenen dringt ein ebenso dezentrales wie auch antimonumentales und gewissermassen dekonstruktivistisches Gestaltungsprinzip inmitten des Ehrenhofs ein, das die bestehende, vermeintlich harmonische Ordnung aus dem Gleichgewicht bringt und dessen nicht sofort ersichtliche, historisch und funktional bedingte Asymmetrie offenlegt.
Durch seine Form als begehbare, direkt erfahrbare, aber nicht unbedingt erfassbare monumentale Bodenplastik sollte das Werk, dem Künstler zufolge, unterschiedlichste Betrachtungsweisen, eine neue Art der Annäherung an das historische Monument stimulieren und neue Verhaltensweisen provozieren. Dabei galt es die vermeintliche »Einansichtigkeit«19 und die hierarchisierende Funktion herkömmlicher Denkmäler umzustürzen: Nicht das Monument sollte den Menschen dominieren, sondern umgekehrt.

Die Polygone von Les deux plateaux als »Sockel für lebendige Statuen«, Paris, Palais-Royal, 2008 (Photo: Valérie Bussmann)
In diesem Sinne stellte sich der Künstler vor, dass seine Säulen, gewissenmassen als Persiflage auf die allegorischen Statuen im Garten und am Attikageschoss des Palais-Royal, auch als »Sockel für lebendige Statuen« umfunktioniert werden könnten – was seitdem auch tatsächlich tagtäglich geschieht.
Der sich bewegende Passant war für Buren von Anfang also integraler Bestandteil seiner Arbeit. Indem er den Menschen seine Skulptur zur freien Nutzung zur Verfügung stellte, kehrte der Künstler das gewohnte Rezeptionsverhalten angesichts eines Kunstwerks um: Aus dem passiven Betrachter wird ein aktiver Benutzer, der Kunstwerk und Ehrenhof in Besitz nehmen kann. So verwandelte sich der bis dahin verödete und in seiner historischen Denkmalhaftigkeit erstarrte »Ort« in einen wiederbelebten, tagtäglich von Hunderten von Menschen »praktizierten Raum« (wie es Michel de Certeau in seinen Beobachtungen zu »Praktiken des Alltags« formulierte).20
Mit »Les deux plateaux« hat der Künstler also eine neue Form von Auftragskunst im öffentlichen Raum der französischen Hauptstadt eingeführt, die die herkömmlichen Begriffe von Denkmal und Monument in mehrfacher Hinsicht revidiert: Einerseits demontiert das Pariser Auftragswerk durch Aneignung und Verfremdung klassischer Gestaltungselemente die Monumentalität des denkmalgeschützten Ensembles. Andererseits bildete es gewissermassen ein Gegenmodell zum traditionellen Denkmal durch einen neuen Typus des ent-hierarchisierten, re-funktionalisierten und re-kontextualisierten öffentlichen Monuments. So schuf Buren eine abstrakte Monumentalskulptur von unverrückbarer Standhaftigkeit und zugleich eine neue, künstlerische Form der Platzgestaltung. Ob seine höchst theoretischen Intentionen und der Formalismus seines Werkes, das der Künstler als »Interpretationsrahmen« oder »-hilfe« zur Wahrnehmung des Umfeldes verstanden wissen wollte, tatsächlich als solches von den meisten Menschen erkannt werden, ist fragwürdig. Jedenfalls aber hat »Les deux plateaux« der Öffentlichkeit ermöglicht, sich einen der bedeutendsten historischen Orte von Paris zurück zu erobern und in Reminiszenz an dessen ehemalige gesellschaftliche Bedeutung ein öffentliches Forum inmitten dieser städtebaulichen Enklave zu schaffen. In diesem Sinne schien das Werk die Anforderungen der sozialistischen Kulturpolitiker nach einer »neuen Form von Monument« und nach »kultureller Demokratisierung« des öffentlichen Raums tatsächlich eingelöst zu haben. Doch, dass auch der gemeinsame Wunsch, Kunst auf dem »öffentlichen Platz wieder ins Zentrum der Debatten« zu stellen, in einem solchen Ausmass aufgehen würde, hätten sich weder Künstler noch Auftraggeber vorstellen können.
Die Ende 1985 ausgelösten Kontroversen waren ebenso politisch wie ästhetisch motiviert. Unfreiwillig ins Zentrum der Debatten gerückt, wurden der Künstler und sein Werk in mehrfacher Hinsicht zu einem Symbol, um das Divergenzen um die sozialistische Kulturpolitik ausgetragen wurden. Probleme und Hindernisse, mit denen die staatliche Auftragspolitik konfrontiert war, aber auch ihr inhärente Widersprüche traten zutage.
Jenseits parteienpolitischer Implikationen, die durch die Wahlen, aber vor allem durch die Opposition von Staat (Mitterrand bzw. Sozialisten) und Stadt (Chirac bzw. Gaullisten) bedingt waren, betrafen diese unter anderem eine ganz wesentliche Ambiguität von Kunstanspruch und -politik. Trugen sowohl die Debatten ebenso wie das Werk selbst gewissermassen zu einer Demokratisierung des öffentlichen Raumes bei, offenbarten sich durch die Affäre zugleich die Grenzen der angestrebten Politik kultureller Demokratie: Nicht zu Unrecht wurden Auftragsverfahren, Auswahl, Vergabe und Realisierung der Projekte für den Palais-Royal als undemokratisch bzw. als symptomatisch für den Staatsauftrag als »Fait du Prince«(d.h. als einer selbstherrlich getroffenen Willkürentscheidung der Regierung) kritisiert. War die Vielzahl der durch den Staat lancierten Kunstprojekte für manche das positive Sinnbild eines neuen »kulturellen Elans«21, sahen andere darin ein Symbol für einen »übertriebenen« und unbedachten »Aktivismus«.22
Die Kontroversen machten zugleich auch die Diskrepanz zwischen gehobenem Demokratisierungsanspruch und einem letztlich elitären Kunstverständnis deutlich. Von Befürwortern als »mutiger kulturpolitischer Akt«23 gefeiert, sahen in diesem Sinne umgekehrt die Gegner im Werk Burens, das mit seinem konzeptuellen Ansatz und seiner minimalistischen Formensprache vielen Menschen unzugänglich war, den arroganten Ausdruck einer Politik, die Elitenkultur gegen die öffentliche Meinung durchzusetzen versucht. Während gegen die »intellektuelle Burleske« von Künstler und Auftraggeber gewettert wurde, trat generell eine weit verbreitete Ablehnung zeitgenössischer Kunst, insbesondere solcher im öffentlichen Raum, zutage.
Vor allem aber offenbarte die Affäre eine grundsätzliche Ambivalenz der staatlichen Kunst- und Auftragspolitik in der Dialektik von Kunsterbe und zeitgenössischem Kunstschaffen. Diese kam in der Polarisierung zwischen konservatorischen Bemühungen und modernem Mäzenatentum zum Tragen: Auf der einen Seiten sprachen sich die Vertreter einer rein historischen Positiondezidiert gegen künstlerische Interventionen in Baudenkmäler aus. Dagegen setzten sich die Befürworter der verstärkten staatlichen Förderung des zeitgenössischen Kunstschaffens für eine Synthese von Geschichte und Gegenwart ein. Sahen die einen in den Projekten für den Palais-Royal ein Beispiel von Staatsvandalismus, trug für letztere die Arbeit Burens zur Bereicherung des denkmalgeschützten Ensembles bei. Der Dissens betraf letztlich einen grundsätzlichen Prinzipienkonflikt um den Begriff des Kunsterbes (Patrimoine) bzw. um das Konzept des »zeitgenössischen Kunsterbes«: Während dieser von den einen als ein post-modernes Paradoxon verworfen wurde, galt es für die anderen »ein neues, dem alten ebenbürtiges Kunsterbe von morgen«24zu schaffen und zugleich einen »lebendigen Begriff des Patrimoine« zu fördern.
Gegen berechtigte Einwände setzte sich letztere Position schliesslich zum Ende der 1980er Jahren durch. In Folge wurde das Programm zur Einbindung von Gegenwartskunst in historische Baudenkmäler zur privilegierten Domäne französischer Auftragspolitik ausgebaut und hat seitdem einige beachtenswerte Resultate hervorgebracht. Die Erfolge sind ebenso bezeichnend für die progressive Ausweitung des Denkmalbegriffs wie für die zunehmende Akzeptanz von Gegenwartskunst an öffentlichen, auch denkmalgeschützten Orten. In dieser Hinsicht haben Burens »Colonnes« im Ehrenhof des Palais-Royal, die im Zuge der Erweiterung des Denkmalschutzgesetzes 1992 selbst schützenswert wurden, und die damit ausgelösten Kontroversen letztlich in zweifacher Hinsicht zu einer »Denkmalrenaissance« beigetragen – im Sinne der Erweiterung und Erneuerung des herkömmlichen Begriffs.
- »La statuomanie est sur son déclin, cela est assez évident«, bemerkte der Historiker Maurice Agulhon zum Ende der 1970er Jahre (La statuomanie et l’histoire, in: Ethnologie française VIII/1978, S. 165) und deutete die dies als Symptom eines nicht nur ästhetischen, sondern auch gesellschaftlichen Werteverlusts. ↩
- »Réussirons-nous à inscrire dans l’espace et sculpter dans la matière notre projet de culture ? De toute mon énergie je m’en emploierai.« (F. Mitterrand im März 1981, zitiert nach »Urbapress« in: François Chaslin, Les Paris de François Mitterrand. Histoire des grands projets architecturaux, Paris 1985, S. 19) Zeitgleich hatte Mitterrand in seinem Vortrag anlässlich der UNESCO-Konferenz in Mexiko die soziale und gesellschaftsrelevante Bedeutung von Kultur sowie die Kongenialität von Künstlern und Politikern hervorgehoben. Denn »der Sozialismus (sei) letztlich vor allem ein kulturelles Projekt«, es gehe dabei weniger um »die Entscheidung für ein Gesellschaftsmodell, als viel mehr für eine Zivilisation« (in: Jean-Marc Adolphe et al. (Hrsg.), Culture Publique. Opus 1. L’imagination au pouvoir, Paris 2004, S. 19-21). ↩
- Ministère de la culture, La politique culturelle 1981-91 (Bilan), Paris 1991, S. 3. ↩
- Jack Lang, Rede zum Kulturhaushalt vor der Nationalversammlung, 17.11.1981, in: Richard Desneux, Jack Lang. La culture en mouvement, Paris 1990, S. 226. Eine erste Massnahme war 1982 die Verdopplung des Kulturetats, von 0,48% des Staatshaushaltes auf 0,76%, um bis 1993 1% zu erreichen. ↩
- Mit seinem Essay »La Défaite de la pensée« (1987), in dem er einen, durch die Kulturpolitik Langs legitimierten Kulturrelativismus als Ursache für den Verfall der Kultur und den »Niedergang des Denkens« anprangerte, prägte der Philosoph Alain Finkielkraut die Wendung »Tout culturel« und eröffnete damit eine Reihe kontroverser Debatten. ↩
- Ausgehend von 5Mio FF 1983 stieg der Auftragsetat des staatlichen Auftragsfonds kontinuierlich an (1986 33MioFF), um 1990 mit 35,5MioFF einen Höhepunkt zu erreichen. ↩
- Die 1985 in den Räumen des »Centre national des arts plastiques« ausgetragene Ausstellung über die »Relance de la commande publique« mit 100 Auftragswerken zeugte vom Umfang, aber auch vom Eklektizimus der frühen staatlichen Auftragspolitik. 1983-95 wurden insgesamt 1026 Aufträge offiziell vergeben, davon 718 realisiert. ↩
- Vgl. Pierre Nora, L’ère de la commémoration, in: ders. (Hrsg.), Les lieux de mémoire. III. Les France, 3, Paris 1992, S. 978sqq. ↩
- Ministère de la culture, Lettre d’information, 42/3.2.1999 (Dossier: La commande publique). ↩
- Robert Fleck, Vers une nouvelle forme de monuments, in: Yves Nacher/IFA (Hrsg.), Art & ville, Bilan des rencontres organisées par l’IFA 1993/94, Paris 1995, S. 18sqq. ↩
- Obwohl die Arbeiten bereits realisiert, wurden weder die »Fontaine de Pégase« der Poiriers, noch Garousts »Le défi au soleil« je an ihrem vorgesehenen Standort aufgestellt. Nach den, um das Werk Burens ausgelösten Debatten beschloss der staatliche Auftraggeber darauf, weitere zeitgenössische Werke in die denkmalgeschützte Anlage zu integrieren. ↩
- Louis Réau et al., Histoire du Vandalisme. Les monuments détruits de l’art français, Paris 1994, S. 1008. ↩
- Mit seinem Konzept der Arbeit »in situ« suchte Buren, die modernistische Idee des autonomen, selbstbezüglichen und ortslosen Kunstwerkes zu widerlegen. Das Dogma von der kontextuellen Kunstpraxis und der unverrückbaren Verortung des Werkes, das in einem dialektischen Abhängigkeitsverhältnis innerhalb eines spezifischen Kontextes interveniert, ermöglichte es ihm die Grenzen der Kunst – im musealen Innenraum wie im nicht-institutionellen, meist städtischen Aussenraum – auszuloten und sichtbar zu machen. Dem Künstler zufolge, bestehe das Ziel seiner Arbeit »nicht darin ein Objekt irgendwo zu positionieren«, sondern einen gegebenen »Ort zu enthüllen, zu verändern, zu hinterfragen und neu zu positionieren.« (Daniel Buren/Jérôme Sans, Au sujet de…, Paris 1998, S. 190) ↩
- Daniel Buren, in: ders., Entrevue – conversations avec Anne Baldassari, Paris 1987, S. 80. ↩
- Daniel Buren, Descriptif, in: Michel Nuridsany, Daniel Buren au Palais-Royal: Les deux plateaux, Villeurbanne 1993, S. 5. Als erstes Grundprinzip nennt er die Enthüllung des Untergrundes. ↩
- So gaben die Interkolumnien das Mass für die Seitenlänge der Quadrate vor. Auch die Position der Säulen entspricht damit denjenigen der Gallerie, ebenso wie ihr Umfang und zum Teil ihre Höhe. ↩
- Derart betont die neue Gestaltung also einerseits die Symmetrie und reguliert gewissermassen das klassische Kompositionsprinzip der bestehenden Anlage; andererseits unterstreicht sie dessen Asymmetrie bzw. die Disharmonie des scheinbar klar gegliederten Ensembles. ↩
- Daniel Buren in: ders. 1987/op. cit., S. 84. ↩
- »Le Palais-Royal constitue donc une critique de la »centralité« de la sculpture ainsi que du »point de vue unique«. Car dans un lieu clos, l’unicité de l’objet impose une sorte d’unicité du point de vue: on peut tourner autour mais l’objet »se montre«, il ne se laisse pas »découvrir«. C’est à partir de cette notion que j’ai travaillé à définir un objet qui se découvre au lieu de sauter à la figure, qui se laisse pénétrer, qui n’impose pas d’angle de vue privilégié mais en permette éventuellement de centaines.« (Daniel Buren in: ders. 1987/op. cit., S. 78) ↩
- M. de Certeau, L’invention du quotidien I. Arts de faire, Paris 1990, S. 172. ↩
- Jacques Renard, L’Elan culturel. La France en mouvement, Paris 1987. ↩
- Léotard in: Ministère de la culture et de la communication/François Léotard, Deux ans de commande publique (Conférence de presse), 15.3.1988, S. 2. Man sprach auch von »kultureller Diktatur« oder »Terrorismus«, während eine breite Front den »Launen Jack Langs« Einhalt gebieten wollte. ↩
- U.a. D. Soutif, Le Palais-Royal en colonnes de Buren, in: Libération, 6.2.1986. ↩
- François Barré, damaliger Leiter der staatlichen Kunstabteilung, in: Ministère de la culture et de la communication/DAP, La commande publique: Bilan 1991, Paris 1992. ↩