Der harte Kern der Künstler_innengruppe RELAX (chiarenza & hauser & co) besteht aus Marie-Antoinette Chiarenza und Daniel Hauser, wobei das »& co« für wechselnde Kooperationen mit anderen Kunstschaffenden steht.
Seit die beiden sich 1983 in einem Squat in Paris kennenlernten arbeiten sie zusammen. Sie zielen mit ihrer Kunst darauf ab, die feinen, unsichtbaren Grenzlinien, welche überall in der Gesellschaft, im Kunstsystem, im öffentlichen Raum und im Museumswesen die Wertunterschiede markieren, durch alle denkbaren Medien zu artikulieren. Marie-Antoinette Chiarenza und Daniel Hauser situieren dadurch ihre Praxis beispielsweise an der Grenze zwischen der urbanistischen und der künstlerischen Praxis ohne jedoch an ihrer blossen Verschmelzung oder Aufhebung interessiert zu sein.
Bekannt geworden sind sie unter anderem mit Aussagen wie »alleine denken ist kriminell« (1991), »artists are no flags« (1993) und »je suis une femme pourquoi pas vous?« (1995) und »you pay but you don’t agree with the price« (1994 – 2005). Wobei der Kaffeebecher dieser letzten Arbeit ein gutes Beispiel dafür ist, dass selbst öffentliche Arbeiten nicht immer als Werke deklariert und vom Publikum als solche erkannt werden.
Lisa Herzog und Jana Vanecek sprachen mit Daniel Hauser für Common Journal für Kunst und Öffentlichkeit:
Das verbindende Element eurer Arbeiten ist ein Spiel mit Codes, das Aneignen bestehender Strukturen, das Détournement und Offenlegen kapitalistischer Grundsätze, sowie vor allem sich einzumischen. Der erweiterte Begriff der Sprache, ist nicht nur der Ort der hegemonialen Macht, sondern auch der Selbstermächtigung. Auf welche Weise geht ihr in eurer Arbeit über die bloße Wiederholung oder Repräsentation der Macht hinaus?
Daniel Hauser: Wie von Euch zutreffend ins Spiel gebracht, kann Sprache für die Aneignung, Durchsetzung und Zementierung von Macht wie auch für Szenarien zur Selbstermächtigung eingesetzt werden. Wenn Ihr also fragt, auf welche Weise wir in unserer Arbeit über die Wiederholung oder Repräsentation von Macht hinausgehen, frage ich gerne zurück: inwiefern könnt Ihr denn Zeichen dafür erkennen, dass unsere Betätigung als KünsterInnen Macht wiederholt oder repräsentiert?
Als wir anfang 90er Jahre eine für uns wichtige grössere Ausstellung in der Shedhalle Zürich machen konnten, haben Marie-Antoinette Chiarenza und ich zunächst einmal versucht herauszufinden wie die Rote Fabrik – von der die Shedhalle ja Teil ist – funktioniert. Die Gespräche, die wir zu diesem Zweck mit den Leuten vor Ort geführt haben, waren wenig erfreulich. Wir haben vor allem ein grosses Misstrauen uns gegenüber erlebt, gerade weil wir uns als KünstlerInnen vorgestellt haben. Wir wurden als Agenten eines Elitesystems betrachtet, für welches die Shedhalle zu jener Zeit für viele stand, und auch so behandelt – wobei niemand von unseren Gegenübers so richtig artikulieren konnte, was dieses System nun wirklich war. Eigentlich haben wir neben Misstrauen auch so etwas Ähnliches wie Gesprächsverweigerung erlebt. Natürlich gab es Ausnahmen, so z.B. hatten wir interessante Gespräche mit den damaligen Zeitungsmachern der Fabrikzeitung oder mit Leuten der Fabrikkneipe Ziegel oh Lac. Doch unser Eindruck war: die Meinungen sind gemacht, kein weiterer Gesprächsbedarf. Dies hat uns dann dazu motiviert, in der Shedhalle für die Ausstellung zwei relativ grosse Wandschriften in Helvetica kursiv anzubringen. Die eine war: 01 (also die beiden Ziffern des binären Codes), die andere war: THE QUESTIONS TO YOUR ANSWERS.
Die zwischenzeitliche Belegung und Nutzung von Räumen, deren Aneignung sowohl un/willentlich mit Behauptungsformen von Macht(ausübung) als auch mit Selbstermächtigung zu tun hat, mit Ein- und Ausschluss, lässt zum Beispiel fragen: wer ist da drin? Wer bleibt draussen? Wer will da nicht rein, weil…?
Wir verwenden gerne die direkte An/Sprache. Ausserdem sind wir häufig mit im Bild, wenn wir so sprechen. Sei dies mittels Installationen, Videos, Fotos, unangekündigten Performances. Dies macht uns als Sprechende auch verletzlich, lässt die Aussagen bisweilen absurd erscheinen bzw. als durchaus zweifelhafte Äusserungen begreifen, oder es gibt uns manchmal sogar der Lächerlichkeit Preis. Das hiesst: wir waren immer interessiert an Handlungen auf ungesichertem Terrain und am Umbau auf offener Bühne, frei nach dem Motto: DU BIST WAST DU SIEHST/LIEST, WIR SIND WAS DU WILLST.
Schwierig wird’s vor allem dann, und darauf zielt wohl auch Eure Frage ab, wenn die eingesetzte Bild/Sprache dazu verwendet wir, für andere zu sprechen, oder stellvertretend für andere ganze Räume zu besetzen. Aber unsere direkte An/Rede taugt nicht dazu, da wir immer wieder Elemente beimischen, die die Ungesichertheit der transportierten Aussagen ins Spiel bringen.
Bekannt geworden sind eure Aussagen wie »alleine denken ist kriminell«, »je suis une femme, pourquoi pas vous?« und »you pay but you don’t agree with the price«. Manche eurer Statements, wie beispielsweise »Art as idea as service«, stellen sich jedoch als zu affirmativ dar und wurden ausserhalb wie auch innerhalb des Kunstkontextes wörtlich verstanden.
Das sind ja eigentlich gar keine Statements. Aussagen oder direkte Anredeformen schon eher. Wir statuieren ja nicht irgendwelche Binsenwahrheiten, sondern verbinden diese Aussagen häufig mit Veröffentlichungs-formen wie Installationen, Videos, fotografischen Inszenierungen, Textbildern, Objekten, um sie auf diese Weise zur Überprüfung in Umlauf zu setzen. So ist »je suis une femme pourquoi pas vous? Ich bin eine Frau, warum sie nicht?« ein Spruch der französischen Frauenbewegung, 1968 gesprayt in Paris, der sich als Titel mit einer Bildinszenierung verbindet, die Marie-Antoinette Chiarenza vor einem Holzfäller-Gemälde von Hodler zeigt, wie sie mit geschulterter Axt auf die/den BetrachterIn zuschreitet, mit der/dem sie direkten Blickkontakt hält. Oder der Satz »you pay but you don’t agree with the price« funktioniert nur auf einem Take-Away-Pappbecher, wie wir ihn zunächst 1994 für Capp Street Project in San Francisco und die Bars rund um den dortigen Southpark und später ab 2002 für Kunstmuseen, Kunsthallen und kuratierte Lokale sowie für ganz normale Bars und Cafés auch in der Schweiz verwendet haben. Der Satz als Behauptung spricht ein Prinzip des Kapitalismus an: bezahlen ist zwar ok, aber wenn, dann möglichst wenig. Aber als gedruckter Satz auf einem Pappbecher, aus welchem Kaffee getrunken und die Flüssigkeit in den Körper der trinkenden Person einfliesst, kriegt der Satz nochmals eine andere Dimension. Auch erzeugt der Satz im Kopf unter Umständen eine topologische Karte, sobald ein Wissen darüber entsteht, wo in der Umgebung ein Kaffee oder ein anderes Getränk wie, unter welchen Bedingungen und zu welchem Preis angeboten wird und welche Leute wo welches Angebot in Anspruch nehmen.
Für die Verwendung von zwei Aussagen sind wir immer wieder kritisiert worden. »Alleine denken ist kriminell« hat uns das Odium der moralisierenden KünstlerInnen eingebracht. Nach dem Fall der Mauer 1989 haben wir den Satz auch im von der untergegangenen Sowjetunion geprägten Ex-Ostblock verwendet, so z.B. in einem Vortrag an der Kunstakademie Prag 1992. Wir wurden dort stark angegriffen, der Satz wurde als unerhört empfunden, insbesondere so kurz nach der Abstreifung vom jahrzehntelang von oben befohlenen gemeinsamen Denken, vom staatlich verordneten Sozialismus. Trotzdem bringen wir den Satz immer wieder ganz gerne ins Spiel, weil er eben sogleich die feinen Risslinien sichtbar macht, die sich zwischen dogmatisch vertretenem Individualismus und dem als Zumutung empfundenen Zusammendenken immer sogleich in tiefe Gräben zu wandeln drohen. Gerne schieben wir zur Entspannung wütend gewordener ZuhörerInnen hie und da auch die Bemerkung nach, dass wir es manchmal auch geniessen, kriminell zu sein.
Die umstrittenste Behauptungsform, die wir verwendet haben, war sicher »Art as idea as service«. Wir haben diese Selbstbeschreibung insbesondere in Kombination mit Publikationen verwendet – auch um einen Kommentar abzugeben zu den Selbstbezüglichkeiten in der Kunst. So in Anspielung auf tautologische und für uns problematische Künstler-Aussagen wie »Art as Art« von Ad Reinhardt bis zu »Art as Idea as Idea« von Joseph Kosuth. Zugleich nahm die Aussage Bezug auf die in Europa schnell voranschreitende Deindustrialisierung seit den 1980er Jahren und die gleichzeitig stark wachsende Dienstleistungsindustrie. Im Gegensatz zu anderen KünstlerInnen haben wir jedoch Kunst nie als Dienstleistung verstanden. »Art as idea as service« gabs nie ohne Bilder, und die waren nun wirklich stark ironisch aufgeladen. So hat eine Wochenzeitschrift namens »Leben und Glauben« (die Wochenillustrierte für weltoffene Christinnen und Christen, erschienen im Walter-Verlag Solothurn) zu unserer Überraschung eine grosse Reportage mit Coverbild über unsere künstlerische Tätigkeit gemacht. Also haben wir unter dem Titel »Kunst in uns« (als Abwandlung von »Gott in uns«) ein Interview gegeben und dabei »Art as idea as service« als Leithaltung deklariert. Dazu haben wir u.a. Porträtbilder von uns eingereicht, in welchen wir ganz freundlich dreinschauen, mit schönen roten Bäckchen, und zu welchen in der Bildlegende stand: gesund und überlebensfähig. Die LeserInnen haben den Beitrag durchaus verstanden. Es gab zahlreiche kritische Leserbriefe und die Anzahl Kündigungen der Zeitschriften-Abonnemente war relativ hoch.
Der Beitrag ist 1991 zu einer Zeit erschienen, als die britische Premierministerin Thatcher (1979 – 1990) ihre grössten Erfolge bereits gefeiert hatte. Wir wollten uns da wie anderswo zur flexibilisierten Gesellschaft äussern, die plötzlich alle Lebensbereiche zu erfassen begann. Selbstausbeutung wurde in der Kunst noch fast als normal und als vorbildlich empfunden. Eine Sensibilisierung für die Instrumentalisierungen der KünstlerInnen gab es noch nicht. Die flottesten Sprüche kamen gerade von den Banken, Versicherungen, Wirtschaftszeitungen (»Heute wird mit Künstlern wieder Geld gemacht«, Inserat der Schweizerischen Handelszeitung SHZ, 1987) und von der Werbebranche, die z.B. 1994 in der Schweiz die Plakatkampagne »Der Aufschwung beginnt im Kopf!« gefahren hatte. Diese als wirtschaftliche Weck-Propaganda konzipierte Kampagne hatte folgende Aussage von Thatcher von 1987 bereits vollständig verinnerlicht: (…) so etwas wie eine Gesellschaft gibt es gar nicht. Es gibt höchstens individuelle Männer, Frauen und Familien. Und keine Regierung kann etwas bewirken, ausser die Leute selbst unternehmen etwas, und die schauen zunächst einmal für sich selber (…). Die Losung der Chicago Boys um den Ökonomen Milton Friedman, dass jeder entweder seines eigenen Glückes Schmied sei oder sonst sein wirtschaftliches Unglück ganz alleine zu verantworten habe, war damit auch in der Schweiz definitiv verankert.
»Art as idea as service« wurde leider trotzdem zu wörtlich verstanden, im Kunstbetrieb wie ausserhalb. Trotz Publikationsbeiträgen wie »Kunst in uns« in »Leben und Glauben«, »Das ewige Manifest« in der Kulturzeitschrift »du« und einem nochmals anders formulierten »Das ewige Manifest« in der Fabrikzeitung der Roten Fabrik, wo wir »Art as idea as service« immer als affirmative Taktik verwendet haben, um direkt übers Ziel hinauszuschiessen und dadurch eine Diskussion auszulösen, ist uns nicht nur gelungen. Viele fanden es immerhin sehr lustig, manche nahmen es zu ernst.
Ihr plädiert dafür, Kunst als Teil des Systems und des Alltags wahrzunehmen und kennzeichnet eure Interventionen im öffentlichen Raum dementsprechend oftmals nicht als Kunst. Welches Potential seht ihr in dieser Integration?
Ja, unsere künstlerischen Betätigungen finden zum Teil sowohl im Bereich Kunst als auch in einem Alltag statt, der noch nichts, schon wieder nichts oder gar nie etwas mit Kunst zu tun hat. Und: Einige unserer Arbeiten finden nur im Kunstbereich oder auch nur im Alltag und nicht gekennzeichnet statt. Natürlich wissen wir, dass Betätigungen, die im Kunstbereich stattfinden, deshalb noch lange nicht als Kunst wahrgenommen werden; und die undeklarierte Verankerung von Kunst im Alltag sagt nicht wirklich etwas aus über eine verbindlichere Wahrnehmung von Kunst. Jedenfalls: bei gewissen Projekten – egal ob selbstmotiviert oder beauftragt – verzichten wir darauf, diese als Kunst zu kennzeichnen. Handelt es sich dabei um einen Auftrag, bitten wir die öffentlichen oder privaten AuftraggeberInnen und die Beteiligten unter Umständen, eine realisierte Arbeit nicht bekanntzugeben, die Medien nicht zu informieren und auf Anfragen nicht zu antworten. Dies hat in erster Linie damit zu tun, dass alleine schon die öffentliche Ankündigung, dass nun da oder dort Kunst sein werde, die Sache häufig zu Tode schlägt, bevor sie überhaupt stattgefunden hat. Diese Vorgehensweise betrachten wir für uns als eine hilfreiche Freiheit. Sie birgt immerhin die Möglichkeit, Zuschreibungen und Repräsentationen zu vermeiden und den Hang von Niklas Luhmann und seinen AnhängerInnen, das einmal vermeintlich Erkannte so gerne in ein ausdifferenziertes, selbstbezügliches System zu überführen, ins Leere laufen zu lassen.
Die Unterschiede und Grenzen zwischen dem privaten und öffentlichen Raum werden immer schwammiger. Seit 1997 benennt ihr sämtliche öffentliche Räume zu »economic spaces« um. Impliziert ihr damit, dass Öffentlichkeit nur noch im Sinne eines ökonomisch codierten Raums existiert? Ist für euch damit auch eure eigene künstlerische Praxis vollständig einer ökonomischen Logik unterworfen?
Die Grenzen zwischen öffentlichen und privaten Räumen sind längst verschwommen. Und dies nicht erst seit es Social Media und Google Maps/Earth gibt. Doch diese einst scheinbar klar gezogene Grenze ist nur ein Machtkonstrukt des ausgehenden 18. und des 19. Jahrhunderts, als die Schichtungen und Überlagerungen des Mittelalters von der erstarkenden Bourgeoisie zerteilt und zurückgedrängt werden sollten. Paris hat die gross angelegten Plätze auch deshalb erhalten, weil sie als Orte konzipiert waren, um die Bevölkerung zu kontrollieren und in Schach zu halten. Das Zusammenstehen von schon wenigen Leuten auf solchen Plätzen konnte als Zusammenrottung eingeschätzt werden und zu sofortigen Verhaftungen führen. Die Bourgeoise hat schliesslich jene Häuser gegründet, in die sie sich zurückziehen konnte (Theater, Oper, Museum) und zugleich den Ausbau jener Institutionen forciert (Gefängnisse, Spitäler, Schulen), die auch der Disziplinierung der Bevölkerung dienten. Es macht deshalb Sinn, die Frage zu stellen, wer eigentlich die Grenze privat/öffentlich gezogen und verteidigt hat.
Zu erwähnen wäre hier der seit 1804 bestehende, ursprünglich nach Napoléon benannte Code Napoléon (CN) – der dann später zum Code Civil (Zivilgesetz) wurde – ein über 2200 Artikel starkes Gesetz. Dieses war lange eines der einflussreichsten Gesetzeswerke, das früh eine Rechtsvereinheitlichung in Europa, Kanada und Lateinamerika bewirkt hat. Der CN ist aus der Französischen Revolution herausgewachsen. In ihn sind Individualismus und Liberalismus in Form des Vertragsrechts eingeschrieben – mit dem Primat der privatautonomen Willenserklärung. Anhand von 1700 der 2200 Artikel regelt der CN das Verhältnis des Bürgers zum Eigentum. Er bewirkte, dass Personen vermehrt im Zusammenhang mit einem ihnen (eventuell) gehörenden Eigentum betrachtet worden sind. Diese Verknüpfung von Person und Eigentum ist der Grund dafür, dass der CN gerne als das Gesetzbuch der Bourgeoisie bezeichnet wird. Er führte den frühen Kapitalisten in den renditeträchtigen Umgang mit dem Eigentum ein.
Seit Gründung der Nationalstaaten bestand die klassische vertikale Machtausübung zwischen Staat und BürgerIn darin, Armee, Waffen, Geldwährung, Steuersystem, Bildung, Kommunikation, Transport, Heirat, Namensgebung und Geschlechteridentität in staatliche Kontrolle zu bringen. Und der CN stand für einen möglichst starken Schutz des Eigentums.
Es würde sich lohnen nachzufragen, ob und wie sich diese Machtverhältnisse seit dem CN und heute überhaupt verändert haben. Und ebenso interessant wäre zu überprüfen, wo heute angesichts der zunehmenden Privatisierung von öffentlichen Gütern, Betrieben und Institutionen die Grenzlinien zwischen privaten und öffentlichen Sphären eigentlich verlaufen. So zeichnet sich ab, um hier ein Beispiel zu nennen, dass Bildung und Wissen, die bisher als öffentliches Gut galten, immer mehr unter Marktbedingungen produziert werden, ohne dass dafür ein realistischer Preis bezahlt wird. Dazu kommen konnte es u.a. durch die Aufspaltung der Geistes- und Kulturarbeit in Management einerseits und freie Content-Produktion andererseits. Hier die gesicherte Festanstellung des Managements, dort das Abgleiten der freien Geistes- und KulturarbeiterInnen in den unter- bzw. unbezahlten und damit unsichtbaren Bereich.
Hier geht es also auch um Marktzugang, Arbeitsverträge, die Frage der Preisbildung und um die Frage nach sozialer Gerechtigkeit. Bei genauerem Hinschauen wird klar, dass die soziale Frage vor allem als Spezialproblem ausgeschieden und – falls möglich – erst nachträglich, aus den Überschüssen der Wirtschaft soweit befriedigt wird, dass der soziale Frieden meistens aufrechterhalten werden kann. Somit: egal ob Gesetze den gleichberechtigten Zugang aller zum Markt regelen, oder aber ob wirtschaftliche Überschüsse, die steuerlich eingefahren werden, als Subventionen oder als Ausgleichszahlungen auf dem Markt erlittene Ungleichheiten ausgleichen, der blinde Fleck bleibt der freie Markt und das Geschäft selbst, insbesondere aufgrund der ständig drohenden Ungleichheit der zu tauschenden Werte.
Dass wir also in unserer künstlerischen Arbeit seit 1997 damit begonnen haben, öffentliche Räume als »economic spaces« zu benennen, bezieht sich auf die vielfach geäusserte Behauptung, dass es ausserhalb des globalisierten Marktplatzes auf dieser Welt nichts mehr gebe. Wir stehen dieser Behauptung sehr feindlich gegenüber. Sie ist Teil einer Hijacking-Strategie all jener Kräfte, die alles der Verwertungs-Logik zuführen wollen und hierfür dazu bereit sind, alles zur Disposition zur stellen, was sich dem entgegenstellen könnte. Damit haben wir nicht etwa unsere künstlerische Praxis einer ökonomischen Logik unterworfen. Wir setzen uns hingegen mit den Wertfragen auseinander, die die fortschreitende Ökonomisierung von allem und jedem nach sich zieht und sich direkt in die Sprache einschreibt.
Ihr arbeitet bereits seit 1983 als KünstlerInnengruppe zusammen. Wie haben sich die öffentlichen bzw. ökonomischen Codes, aber auch eure Praxis im Umgang mit diesen Codes über die letzten drei Jahrzehnte verändert?
Das Bild der/des KünstlerIn hat sich über die letzten vierzig Jahre stark verändert. Trotzdem gibt es den klassischen KünstlerInnen-Typus des Bohémiens immer noch. Diesen Wandel in Gang gesetzt haben u.a. die in den 1960er Jahren einsetzenden Emanzipationsbewegungen, die sämtliche hierarchiegestützten Wertesysteme in Frage zu stellen begannen. Der gesamte politische, wirtschaftliche, technologische, soziale, kulturelle und damit auch bildungsbezogene Wertekanon wird seither nachhaltig kritisiert und immer wieder dekonstruiert. Die von Feminismus, Gender und Queer kritisierten Geschlechterverhältnisse und unterlaufenen Zuweisungen zu Geschlechterkategorien sind für diesen Wandel zentral. In der Kunst wurde versucht, den Kunstbegriff entsprechend zu erweitern, inzwischen ist die Vielfalt künstlerischer Praxen längst nicht mehr überschaubar, und das einst scheinbar klar gefasste Bild vom KünstlerInsein ist ausgefranst. Aus kulturkritischer Sicht ist der Kunstbegriff als Erfindung, Teil und Bestätigung der hierarchisch geordneten Repräsentationskultur des Westens zu verstehen. Der Versuch der Überwindung dieses klassischen Kunstverständnisses hat deshalb in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen.
Künsterinnen haben denn nicht erst seit den 13 Demands der Art Workers Coalition (New York, 1969) ihre Anliegen auch politisch vertreten. Seither und bis heute haben sie in ihrer Arbeit u.a. fokussiert auf: das Politische in Abgrenzung zu offizieller Politik, die Rückweisung von identitären Kategorisierungen, postfordistische Arbeit und Multitudo, politische Ökonomie und soziale Kreativität, immer mit der Absicht, auch eine neue Ethik des Gemeinsamen zu entwickeln. Eine wachsende Zahl von Künstlerinnen und Koalitionen haben seither eine kritische künstlerische Praxis entwickelt, unter Zuhilfenahme von aktivistischen, kollektiven und partizipatorischen Taktiken. Diese versuchen Kunst politisch zu machen und ihre eigenen Diskurse zu formulieren. Ein breites Spektrum von künstlerischen Manifesten und manifestartigen Projekten, die in den letzten Jahren veröffentlicht worden sind, können als Teil einer solchen Praxis gesehen werden.
Seit der Installation »WASTE« und dem »WASTE-Manifesto« 2008 in der Shedhalle Zürich im Rahmen der Projektreihe »Work to do!« setzen wir uns noch intensiver mit Verschwendung und Überfluss, der Ökonomisierung von öffentlichen Gütern nach deren Privatisierung und den damit verbundenen Grenzziehungen auseinander. Die in Warschau 2009/2010 entstandene Videoarbeit »reservoir news« wie auch die Installation »what is wealth?«
und das »wealth-manifesto« 2010 im Cornerhouse Manchester sind Fortsetzungen dieser Auseinandersetzung, ebenso wie der wachsende »wealth complex«, der erstmals in der 2010/11 in Santiago de Chile und im Kunstmuseum Bern in der Ausstellung »Dislocacion« gezeigten Installation »invest & drawwipe« zu sehen war. Ausgehend von einer Anzeige, die in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung FAZ zehn Tage nach dem Militärputsch von General Pinochet gegen Salvador Allende 1973 publiziert worden war und besagte: »Chile: jetzt investieren!« handelt die Installation von der Spekulation, dass Chile als das von Milton Friedman empfohlene und von Pinochet militärisch durchgesetzte Testlab für die freie Wirtschaft die Zukunft Europas sein wird. »invest & drawwipe« war für uns eine gute Möglichkeit, uns mit Fragen zur Extraktion von Werten (z.B. Ressourcen), der Mobilisierung von Gütern und Menschen, zu klassischer Warenproduktion und zu einer möglichen Wunschproduktion, zur Erzeugung von Reichtum, zu dessen Verteilung und Anhäufung auseinanderzusetzen. Damit verbunden hat die Installation räumlich, sinnlich und bildhaft auch Aspekte zu Fragen abgebildet, die sich zu Grenzziehungen stellen. Für wen und welche Güter besteht Durchlässigkeit, wer und was wird lokal festgesetzt? Grenzen werden bekanntlich zumeist auf Landkarten sichtbar, aber auch in Gesetzen und Verträgen, über Moral und Ethik. Und damit haben wir uns noch nicht über die ganz anders gezogenen Grenzziehungen im informellen Bereich unterhalten.
Die Regeln, die Milton Friedman der Welt zur Durchsetzung empfohlen hat, sind seit 1973 – also bereits zehn Jahre vor Beginn unserer Zusammenarbeit – konstant geblieben: 1. Abbau aller Handelsschranken, 2. freie Zirkulation aller Finanzströme, 3. Reduktion der Steuereinnahmen und Abbau der Staatsausgaben
4. Alles privatisieren. Trotz bisher erst lokalen Aufständen gegen den hohen Druck der politisch gestützten Regeln scheint zumindest zurzeit in Europa für deren Durchsetzung noch keine Armee unterwegs zu sein. Selbst wenn die gerade verstorbene Margareth Thatcher – eine ehemalige Freundin des weggeputschten Pinochet – in den Nachrufen als Freiheitskämpferin (für die freie Wirtschaft) und als politische Naturgewalt überhöht worden ist und ihre fehlgeleiteten AnhängerInnen der Ansicht sind, diese Regeln seien wie gottgegebene Naturgesetze durchzupeitschen.
Der Autor Georges Bataille sagt: sobald wir vernünftig handeln wollen, müssen wir den Nutzen unserer Handlung suchen. Nutzen heisst aber Vorteil, Bestandeserhaltung, Besitzsicherung oder Wachstum. Zugleich fragt er: was machen wir mit der überschäumenden Energie, wenn kein Wachstum mehr möglich ist? Bataille meint, dass es auf jeden Fall zum Verlust kommt. Dieser kann nicht nützlich sein. Aber wir können unterscheiden zwischen gefälligem Verlust (z.B. Kunst, Gastfreundschaft, soziale Umverteilungen aller Art) und ungefälligem Verlust (z.B. Krieg). Die Stagnation nach der Industrialisierung, die ruckartigen Entwicklungsschübe dank neuer Technologien, die demografischen Stagnationen, die Erhöhung des Lebensstandards, die Zunahme unproduktiver Dienstleistungen, die Verkürzung oder Verlängerung der Arbeitszeit zeigen, dass sich Wachstum, Stagnation und Verlust ständig die Hand geben. Die Frage ist nur, wie Verschwendung akzeptiert werden kann. Als sprachlich legitimierte und zweckrationalisierte Form des Krieges oder als gesellschaftliche Freisetzung von Reichtum?
Seit Herbst 2011 sind auch zahlreiche Künstlerinnen bei Occupy Wall Street beteiligt gewesen und haben dabei versucht, nicht einfach einen spezifischen Raum zu besetzen, sondern auch die soziale und politische Imagination. Die Entwicklung von hierarchiefreien gesellschaftlichen und kulturellen (Infra)Strukturen, von Verfassungs-Entwürfen – so der Entwurf der Philosophin Beatriz Preciado für einen kontrasexuellen Vertrag, der den heterosexuellen Sozialvertrag ersetzen soll – und einer Grosszügigkeit im Umgang mit Reichtum und Verschwendung können dabei ebenso künstlerische Praxis sein wie die Forderung nach der Entwicklung einer angewandten Gesellschaftskunst und die dazu geführten Diskussionen. Dazu gehört auch das künstlerische Bespielen von spezifischen Orten, die Institutionen der Kunst und der Kunstausbildung beherbergen. Doch inwiefern können diese als Orte der Kritik funktionieren und so für die künstlerischen, vermittelnden und anderen Austauschformen zu einem Ort werden, der nicht repräsentiert sondern einen Gebrauchswert hat, natürlich jenseits eines kruden Nützlichkeitsgedankens? Hierzu sollten nicht einfach nur die sich im Wandel befindlichen künstlerischen Praxisformen oder die sich wandelnden Kultur(förder)politiken befragt werden, sondern ganz generell das Verständnis von Intendanz, Mittelbeschaffung, Recherche, Produktion, Vermittlung, Austausch und horizontaler Durchlässigkeit.