Der Künstler San Keller geht mit seinen Dienstleistungen an die Öffentlichkeit. Ruedi Widmer, an der ZHdK verantwortlich für eine Kulturpublizistikausbildung, diskutiert mit Keller Veränderungen im Feld des Öffentlichen.
Ruedi Widmer: Was passiert momentan im Feld »künstlerische Verfahren in den Sphären des Öffentlichen oder der Öffentlichkeit«?
San Keller: Ich verfolge meine Arbeit nun seit mehr als 15 Jahren. Zuerst begann ich mit dem Format der Dienstleistung zu spielen. Dabei übernahm ich die entsprechende Werbesprache, um zu hinterfragen, wie unsere Gesellschaft funktioniert und zugleich als Künstler selbstständig an die Öffentlichkeit zu treten. Ich benutzte die Beziehungsstruktur der Dienstleistung in einem subversiven Sinne. Dabei suchte ich natürlich auch die Anerkennung durch den Kunstbetrieb, die nicht ausblieb und zugleich weitere Probleme und Herausforderungen schuf. Im Gegensatz zu vielen Projekten der 80er und 90er Jahre entschied ich mich jedoch dagegen, die Form einer Firma zu kopieren und auf die Personifizierung zu setzen, was mir zu dieser Zeit näher lag.
Deine Aktivitäten im öffentlichen Raum sind keine Skulpturen. Sind es denn einfach so genannte Interventionen?
Das sind medienspezifische Fragen. Kann man bei meiner Arbeit etwa von der sozialen Skulptur im Sinne von Beuys sprechen? Oder packt man es in den Begriff der Intervention? Der Begriff der Skulptur würde wegen seiner Festigkeit und seiner Statik darauf verweisen, dass auch soziale Strukturen bestimmte fixe Rahmenbedingungen haben. Der Begriff der Intervention oder des Eingriffs beinhaltet eine Aktivität von aussen, suggeriert also, dass der Künstler von aussen kommt – dabei bin ich ja selbst in der Aktivität ein Teil des Geschehens und deswegen involviert. Zwar muss ich als Künstler intellektuell und emotional eine gewisse Distanz bewahren, aber ich bleibe, auch ökonomisch, Teil des Betriebssystems Kunst oder eben des öffentlichen Raums.
In den 1980er-Jahren besetzten die »Bewegten« den öffentlichen Raum, beispielsweise die Reitschule in Bern. Gibt es etwas Vergleichbares heute noch, etwa mit den Facebook-Partys? Sind diese eine neue Art von sozialer Skulptur, wenn auch nicht künstlerisch intendiert?
Zur Zeit der »Bewegung« war ich – ich habe Jahrgang 1971 – noch ein Teenager. Dennoch wurde ich dadurch wie viele meiner Generation politisiert. Es war zwar nicht so, dass wir uns organisiert hätten; eher waren wir auf uns selbst zurückgeworfen. Erst als ich zur Kunst fand, wurde dieser Individualismus produktiv. Mit meinen Projekten greife ich in die Realität ein, diese sind aber nie darauf angelegt, eine über das Temporäre hinausgehende Struktur zu schaffen. Das ist der Unterschied zu den bewegten Zeiten, als versucht wurde, die Gesellschaft zu verändern. Ich hingegen habe nicht die Illusion, etwas zu verändern. So geriet ich immer mehr in den Kunstbetrieb und dessen Funktionieren hinein.
Wie erfinderisch ist die Kunstwelt beim Finden neuer Formen für den Umgang mit der Öffentlichkeit? Oder gibt es gewissermassen Trampelpfade?
Ich begehe sicher auch solche Pfade. Und das ist aus meiner Sicht durchaus legitim. So kann man auch eher produktiv sein. Man kann nicht immer die Rahmenbedingungen der Kunst in Frage stellen. Es ist jedoch weniger der Kunstbetrieb, der neue Formen im Umgang mit der Öffentlichkeit erfindet als gesellschaftliche Umbrüche, welche nach neuen künstlerischen Formaten verlangen. Dies kann man in Zürich seit den 90er Jahren eindrücklich erleben.
Meinst Du, man kann so eher in die Tiefe gehen, statt immer neue Formen zu suchen?
Genau. Das hat auch mit den neuen medialen Möglichkeiten, etwa mit dem Internet, zu tun. Es gibt da eine Zugänglichkeit zu Informationen, die völlig neue Kommunikationskanäle geschaffen hat. Ob Facebook hier relevant ist?
Wäre Andy Warhol fast ein wenig ein Vorläufer? Er hat mit seiner Kunst ja nicht eigentliche Institutionskritik geübt, den Betrieb und den Kunstbegriff aber dennoch unterlaufen, eben durch seine schlauen Zugänge.
Genau, so könnte mans sagen.
Gibt es heute Künstler, die das so schaffen wie Warhol?
Viele würden wohl Olafur Eliasson nennen.
Warhol ging ja sehr virtuos mit dem Grenzgebiet von Privatem und Öffentlichen um. Er schuf einen öffentlichen Raum im Kopf.
Wie meinst Du das?
Ich behaupte, Warhol und Facebook haben etwas Gemeinsames. Die Kategorien des Öffentlichen und des Privaten werden umgepflügt oder zumindest neu konfiguriert. Warhol kodierte das Öffentliche als Privates um und umgekehrt. Facebook ist eine soziale Skulptur, die niemand bewusst als solche geschaffen hat und die aus technischen Möglichkeiten heraus entstanden ist.
Wenn du dies so siehst – I like it!
Beides. Aber Facebook verändert den Öffentlichkeitsbegriff. Unter den unzähligen Möglichkeiten von Öffentlichkeit ist Facebook eine weitere Variante. Austausch und Öffentlichkeit gab es auf dem Dorfplatz zwar auch, aber Facebook erlaubt einen neuen Blick.
Schlage vor, wir führen das Gespräch besser über Facebook weiter, dann können sich auch all unsere Freunde daran beteilgen!
Kurzfassung des Gesprächs von Konrad Tobler
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Obwohl ich dem Gespräch in diesem wunderbaren Schweizerdeutsch nicht wirklich folgen kann, möchte ich einige Anmerkungen wagen, die sich nun vor allem auf den kurzen Textabschnitt oben beziehen. San Keller erwähnt, dass er sich ganz explizit dagegen entschieden hat, die Form einer Firma zu kopieren, um seinem künstlerischen Vorhaben einen Rahmen zu geben. Vor diesem Hintergrund fällt natürlich besonders auf, wie durchsetzt die Sprache des „Betriebssystems“ Kunst von Begrifflichkeiten ist, die Funktionen aufrufen. Kunst ist Arbeit oder Dienstleistung, mit der man an eine Öffentlichkeit tritt; Aspekte der Nützlichkeit, Funktionalität und Produktivität werden zur Bewertung von Strukturen, Projekten und Formaten herangezogen. Ich frage mich immer mehr, ob und wie diese Art des Sprechens die Begegnung mit Kunst beeinflusst. Denn sie erscheint mir als unzureichend und wenig treffend, weil sie nicht einfühlend beschreibt, reflektiert und interpretiert, sondern vor allem ordnet und sortiert. Vermutlich wäre es sehr erhellend, jede einzelne dieser eingeschliffenen Floskeln auf ihren Sinn und ihre Anwendbarkeit für das Gedachte und Gemeinte zu überprüfen. Was heißt es denn, wenn San Keller den Begriff der „Intervention“ als ungeeignet abgelehnt, weil damit ein unmögliches Außen aufgerufen wird, dann aber doch davon spricht, dass er mit künstlerischen „Projekten“ in die „Realität“ eingreift? Entsteht der Widerspruch, weil die zur Verfügung stehende Begrifflichkeit die vielfältigen Facetten des Ereignisses Kunst nicht zu fassen vermag? Auch „Facebook“ ist zunächst nichts weiter als ein Schlagwort. Was die Frage nahelegt, ob man dem Phänomen der Virtualisierung sozialer Beziehungen mit den einander gegenüber gestellten Schlagworten „Privat“ und „Öffentlichkeit“ wirklich (!) näher kommen kann. Wir sollten nach den ungezählten Zwischentönen suchen, den Übergängen und Mischformen und dafür eine andere Sprache finden, mit der wir uns in diesen unüberschaubaren Un-Ordnungen bewegen können, denkend und deutend den Spuren folgend.