Freiraumsaison

Ideologien der Kompensation, No 1

Mitte Oktober 2012 wurde in Brüssel die Veranstaltung Parckdesign 2012 GARDEN1 beendet. Die Biennale zielte darauf, mit einem breiten Spektrum gestalterischerDisziplinen die sozialen, urbanistischen und ökologischen Werte von städtischen Brachflächen und städtischer Natur zu untersuchen und neu zu positionieren. Ein Kuratorenteam hat zehn internationale Künstler, Landschaftsarchitekten, Architekten und Designer eingeladen, Freiräume in den grünflächenarmen BrüsselerProblembezirken Molenbeek und Cureghem mit gestalterischen und künstlerischen Interventionen zu untersuchen und zu aktivieren. Die temporäre Garteninstallation Garden Bridges war eines dieser Projekte. Das Ende der fünfmonatigen »Freiraumsaison« bietet Anlaß, die Rolle von gestalterischen und künstlerischenEingriffen in den öffentlichen Raum zu reflektieren. Sind solche Eingriffe wirksam als Teil einer breiteren Kultivierung des öffentlichen Raums? Wie verhalten sich dieInterventionen gegenüber dem Ort und seinen Nutzern?

Raum verhandeln
Den öffentlichen Raum gibt es nicht. Unterschiedliche Kulturen, unterschiedliche Orte und lokale Begebenheiten, unterschiedliche ökonomische Möglichkeiten schaffen unterschiedliche Räume: Raum muß immer neu geschaffen und erhalten werden. Ohne ständige Neukalibrierung und Überprüfung kann es keine lebendige öffentliche Räume geben; sie sind eigentlich nicht mehr als ein jeweiliges Zwischenergebnis von Verhandlung, Vereinbarung und ständiger Neu(er)findung.

Neben Städtebau, Architektur und Landschaftsarchitektur hat auch die bildende Kunst Anteil an der gesellschaftlichen Investition in die Verhandlung des öffentlichen Raums. Seit inzwischen vielen Jahrzehnten beteiligen sich die unterschiedlichen Disziplinen auf dem gleichen Feld an der Auseinandersetzung um Öffentlichkeit, die auch immer eine Behauptung von eigenen und individuellen Handlungsräumen ist. Im öffentlichen Raum geht das künstlerische Arbeiten mit einem gewissen Maß an Autonomieverlust einher. Der Gestalter/Künstler stellt sich hier einer höheren funktionalen und gemeinschaftlichen Verantwortlichkeit. Die Position des Künstlers als möglichst unabhängiger Autor, als Impulsgeber und Erfinder wird aber selten in Frage gestellt.2

Landschaftsarchitektur hingegen basiert nicht auf Individualität und gestalterischer Autonomie3, sondern bewegt sich grundsätzlich in einem dichten Geflecht von materiellen, topographischen, sozialen und politischen Gegebenheiten des Ortes. Die Grundsubstanz und das Medium landschaftsarchitektonischer Gestaltung ist das Vorhandene.4 Landschaftsarchitektur ist wesentlich in Entscheidungsprozesse von und mit Auftraggebern, wie auch Interessengruppen, eingebunden und abhängig von ihnen. Die Arbeit mit diesem dichten Netz an Aufträgen, Meinungen und Ansprüchen ist integraler Bestandteil landschaftsarchitektonischen Gestaltens. Landschaftsarchitektur ist in diesem Netz verankert, legitimiert und gleichzeitig gefangen.

Gestalterischer Freiraum
Die Materialisierung und Gestaltung des öffentlichen Raums wird zunehmend gebunden durch wachsende Ökonomisierung, Rationalisierung und Gender Mainstreaming – dem Anspruch für alle und jeden lesbar, sicher, zugänglich, abwischbar und unzerstörbar zu sein. Durch diese schmalbrüstige Kanonisierung geht ein wichtiger Bestandteil der öffentlichen Freiraumkultur verloren, nämlich die Fähigkeit Anstöße zu geben, den Raum immer wieder neu zu untersuchen und zu verhandeln. Denn Freiraum muß auch brutal oder fragil, poetisch oder ein Manifest sein können.

Wo lassen sich also innovative Handlungsspielräume für die Gestaltung des öffentlichen Raums finden? Wo konventionelle Landschaftsarchitektur keinen kulturellen Mehrwert schaffen darf oder kann, ermöglichen künstlerische Techniken jenseits von Baunormen, ästhetischen Konventionen und Klischees (»Grün«, »Baum«, »Blume«) den Freiraum neu zu bewerten und tatsächlich Neuland zu schaffen. Solange dies reflektiert geschieht und nicht nur Rollrasen als metaphorischer Befreiungsschlag wahlweise auf Straßen oder Häuserwänden appliziert wird, kann das freie Experimentieren und das Ausloten neuer Verhandlungsspielräume auch mit Gewinn für etablierte Planungsprozesse genutzt werden.

Freiraumversuche
Mit der Veranstaltung Parckdesign 2012 konnte die Stadt Brüssel solche experimentellen Projekte realisieren. Im Alltagsgeschäft hätten Vorschriften, Eigentumsverhältnisse, Versicherungsverträge oder persönliche Vorlieben in der Verwaltung oder Politik die Projekte verhindert. Aber die im Rahmen von Parckdesign realisierten Gestaltungen sollen auch kein Ersatz für langfristig angelegte, verläßliche Freiräume sein. Die langfristige Sicherung der Interventionen ist nicht geplant, ihr Potential liegt in der kurzen Temporarität. Eine neue Wahrnehmung von Stadtbrachen als Teil des Stadtraums und der Natur der Stadt zu fördern ist gerade in diesem Teil Brüssels ein ungewöhnliches und herausforderndes Projekt. Molenbeek und Cureghem sind Quartiere, in denen große ökonomische, soziale und kulturelle Konfliktherde schwelen. Die individuelle Verantwortung gegenüber dem Freiraum ist hier keine Konvention, sondern eher ein singuläres Phänomen. Straßen, Bürgersteige, Plätze und Brachen sind vernachlässigt oder in kürzester Zeit stark vermüllt. Freiraum kann seine Rolle als gesellschaftlicher Handlungsraum hier oft nur eingeschränkt wahrnehmen. Aber als Raumkultivierung zielt die Initiative auf langfristige Inwert- und Impulssetzung und gemeinschaftliche Verantwortung.

Garden Bridges

Garden Bridges, 100Landschaftsarchitektur Thilo Folkerts, Brüssel 2012, © Thilo Folkerts, 2012

Die realisierten Projekte dienen hier als Stichwortgeber, die sich des urbanen Kontextes bewußt sind und dem Auftraggeber eine Freiheit verschaffen, die es ermöglicht jenseits von Bewährtem oder Begrenztem den öffentlichen Raum neu zu verhandeln und neue Freiräume zu erschließen.

Gestalterische Verhandlung zwischen Dauer und Wandel, Geschlossenheit und Zugänglichkeit

Gestalterische Verhandlung zwischen Dauer und Wandel, Geschlossenheit und Zugänglichkeit.
Garden Bridges, 100Landschaftsarchitektur Thilo Folkerts, Brüssel 2012, © Thilo Folkerts, 2012

Garden Bridges
Das Projekt Garden Bridges versucht mittels Baugerüststrukturen neue Zugänge zu schaffen. Die Einfügungen in den öffentlich zugänglichen Treppen an der Brücke über den Charlesroi Kanal erschließen temporär die vernachlässigten Zwischenräumen jenseits der historisierenden Natursteinkonstruktion. Als Instrumentarium für Zugang, Aufenthalt und Beobachtung sollen die Gerüststrukturen Neugier wecken und eine Brücke zu den umgebenden Flächen schaffen, diese aktivieren und neue Wahrnehmungen ermöglichen.

Garden Bridges

Die Natur der Stadt erschließen. Garden Bridges, 100Landschaftsarchitektur Thilo Folkerts, Brüssel 2012, © Thilo Folkerts, 2012

Die Garteninstallation5 erschafft die individuelle Entdeckung der Ästhetik von Brachen und des Freiraums. In seiner auf Veränderung verweisenden Materialität setzt es auch das Transitorische als essentieller Bestandteil von urbaner Natur (und städtischem Leben) in Wert: Die Zwischenräume an sich werden nicht überformt, sondern behalten ihren rohen Charakter. Garden Bridges versucht sich an der ästhetischen und somit auch räumlichen Erweiterung urbanen Freiraums. Freiraum als nicht-repräsentativer Raum, sondern als weitgehend funktionsoffener Aktionsraum.

Natur und die Stadt
Ein wesentlicher Aspekt der Installation ist die direkte Konfrontation mit den Gegebenheiten des Ortes. Während der Realisierung des Projekts offenbarte sich, dass die Garden Bridgesin exklusive urbane Habitate hinein ragen, und dass deren Protagonisten die allgemeine, öffentliche Nutzung begrenzen. Die mit der Installation besser erschlossenen Räume wurden in kürzester Zeit von Drogenhändlern, Abhängigen und Obdachlosen wieder als Schlaf- und Umschlagplatz in Beschlag genommen.

Garden Bridges

Urbanes Habitat: Informeller Wohnraum Delacroix Treppen, Brüssel, Mai 2012, © Thilo Folkerts, 2012

Die Garden Bridges sind insofern nur der Versuch geblieben, Brachen für eine breitere Öffentlichkeit nutzbar zu machen. Als suggestive Inanspruchnahme sind die Garden Bridges jedoch ein erster Schritt in der Kultivierung neuen städtischen Freiraums: Sie haben die konkreten Orte ins Bewußtsein des Quartiers zurückgebracht. Diesen ersten Schritt zu tun bedarf vielleicht nicht unbedingt mehr, als über gemeinsame Brücken neue Freiräume zu erschließen.

  1. Parckdesign wurde von der kommunalen Bruxelles Environnement initiiert. Parckdesign 2012 GARDEN wurde kuratiert von: atelier le balto, Berlin; Eric Troussicot, Bordeaux, Architecture Workroom Brussels, Brüssel. Teilnehmer: Raumlabor Berlin, Ost Collective & Studio Public & Collectif Etc, Ralf Witthaus , OOZE & Marjetica Potrč, Lara Almarcegui , Studio Basta & Wagon Landscaping, Stéphanie Buttier & Sophie Larger, 100Landschaftsarchitektur Thilo Folkerts, Cascoland , Jeanne van Heeswijk & Marcel van der Meijs.
    www.parckdesign2012.be
    www.architectureworkroom.eu/en/work/g_a_r_d_e_n_parckdesign_2012/
  2. Landschaftsarchitektur, um eine Formulierung der Redaktion von Common aufzunehmen und zu wenden, ist – genau wie Kunst – ein »vielseitig verwendbares Instrument (…), das (im öffentlichen Raum) sowohl als Fördermittel, Standortmarketing, Werbung, Aufwertungsmaßnahme wie auch zur Identitätsstiftung eingesetzt wird …«. Kunst steht in diesem Zusammenhang Funktionalisierungsansprüchen misstrauisch gegenüber und beklagt die Instrumentalisierung künstlerischen Arbeitens zum Bespiel für Standortmarketing.
  3. Zur Frage der gestalterischen Autonomie (hier der Architektur) siehe die Verweise in Christian Holls Text über Partizipation und Bürgerbeteiligung: »Wiedergelesen: Architektur als Aneignung und Weltinterpretation«. www.germanarchitects.com/de/pages/page_item/40_12_wiedergelesen2, 03.10.2012
  4. Man könnte formulieren, dass Landschaftsarchitektur als Gestaltungsdisziplin auf dem Prinzip der Bricolage basiert, wie Lévi-Strauss 1962 in »Das Wilde Denken« formuliert: »nehmen und verknüpfen, was da ist«. Für Lévi-Strauss ist Bricolage die nicht vordefinierte Reorganisation von unmittelbar zur Verfügung stehenden Zeichen bzw. Ereignissen zu neuen Strukturen.
  5. Wie viele meiner Installationen bedient sich das Projekt Garden Bridges des Gartens als Medium. Der Garten ist kulturell tief verwurzeltes Motiv und Ort der dialektischen Verhandlung entgegengesetzter Konzepte (Kultur vs. Natur). Der Garten vereint darüber hinaus die Aspekte des Wandels und der Wandelbarkeit, von Inklusion und Exklusion, von Individuum und Masse. Den Kulturbegriff des Gartens in weitest möglicher Bedeutung auf das Arbeiten im Stadtraum ausweiten, ermöglicht, so hoffe ich, den urbanen Freiraum als kulturelle Substanz jenseits seiner städtebaulichen Determinierung zu untersuchen.
Verschlagwortet mitIdeologien der Kompensation, No 1

Über Thilo Folkerts

Thilo Folkerts ist Landschaftsarchitekt in Berlin. Seit 1997 realisiert er – vor allem im Stadtraum – Projekte und Installationen als experimentelle Anordnungen zum Konzept des Gartens. 2007 gründete Thilo Folkerts das Büro 100Landschaftsarchitektur. www.100land.de

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.